Erblühende Flussinsel
Schöner und teurer: Hamburg-Wilhelmsburg rüstet für Gartenschau und Bauaustellung
Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl versprach einst »blühende Landschaften«. An diese Formulierung dürften sich die Bewohner des ehemaligen Hamburger Arbeiterstadtteils Wilhelmsburg erinnert haben, als die Macher der 2013 stattfindenden Internationalen Gartenschau (igs) das Entstehen einer »grünen Oase im Herzen der Stadt« verkündeten. Die Mammut-Veranstaltung soll neben der Internationalen Bauausstellung (IBA) und der von der Stadt angeschobenen Wohnungssanierung die Elbinsel aufwerten.
Eine grüne Oase im Großstadtdschungel ist das ehemalige Arbeiterviertel Wilhelmsburg eigentlich schon heute. Europas größte Flussinsel ist nicht nur der brückenreichste Stadtteil Hamburgs, sondern bietet mit seinen Naturschutzgebieten, Wiesen, Fleeten, Kanälen und dem Elbstrand eine einzigartige Kombination aus Natur und Stadtnähe. Doch wo zurzeit marode Holzbrücken, alte Bäume und verwunschene Pfade Naherholungssuchende locken, wird im Sommer 2013 zur igs auf mehreren tausend Quadratmetern ein großes Blumenmeer erblühen.
Die Internationale Gartenschau passt perfekt in das Hamburger Leitbild »Wachsen mit Weitsicht«, dessen zentraler Punkt der »Sprung über die Elbe« ist. Die citynahen Stadtteile Wilhelmsburg und Veddel mit ihrer Wasserlage sollen zu »attraktiven Vierteln zum Wohnen und Arbeiten« entwickelt werden. Wichtigster Motor neben der Gartenschau ist die IBA. Sie werde »architektonisch und ökologisch aufsehenerregende Bauprojekte in den Süden Hamburgs bringen«, heißt es beim Senat.
Während einige IBA-Projekte bereits realisiert oder in Arbeit sind – etwa der Energiebunker und der Energieberg –, ist von der bunten Blumenpracht der igs noch nichts zu sehen. Aber am Westeingang des Ausstellungsgeländes an der Mengestraße wird kräftig gebaggert und gebuddelt. Dort befindet sich die ehemalige Kapelle der evangelischen Kirche. Der im neugotischen Stil errichtete und unter Denkmalschutz stehende Backsteinbau soll als Mittelpunkt des 1962 entwidmeten Friedhofs ein »Ort des Friedens« werden. Den 3000 Quadratmeter großen ehemaligen Totenacker wollen die Ausstellungsmacher als »Impulsgeber für die Verwurzelung und Integration der Wilhelmsburger Neubürger« erhalten.
Zur igs werden die Friedhofsgärtner dort ihre Arbeiten präsentieren. Die Darstellung der Bestattungskultur hat auf Gartenschauen Tradition. Zudem wird jede Weltreligion ihren eigenen Garten gestalten.
»In 80 Gärten um die Welt« sollen sich die Besucher der igs von April bis Oktober 2013 bewegen. Auf dem 100 Hektar großen Gelände und entlang eines 6,5 Kilometer langen Rundkurses werden die Gärten in sieben Erlebniswelten aktuelle Themen aus allen Erdteilen aufgreifen – von der Perlenzucht über den Schrebergarten bis zum Mini-Geysir. Erdacht hat das Konzept der Landschaftsarchitekt Stephan Lenzen, der auch die Bundesgartenschau 2011 in Koblenz gestaltet. Die 133 Millionen Euro teure igs in Hamburg soll kein Disneyland für Gartenfreaks werden, sondern ein Projekt für die Zukunft. Ziel sei es, sagt igs-Chef Heiner Baumgarten, über das Jahr 2013 hinaus etwas Bleibendes zu schaffen. Ein Beispiel ist die spätere Nutzung der Blumenschauhallen als Hallenkomplex zusammen mit einem Hotel und einem Schwimmbad.
Auch der entstehende Park ist auf Dauer angelegt, so Baumgarten: »Es soll ein Park für das 21. Jahrhundert entstehen, der für andere Metropolen richtungsweisend ist.« Doch daran bestehen erhebliche Zweifel. Denn obwohl Baumgarten noch im August 2008 »den schönen, alten Baumbestand« als »ganz großes Plus für die igs« bezeichnete und von den Erlen entlang der das Gelände durchziehenden Wettern und Gräben schwärmte, sollen zahlreiche der insgesamt 20 000 Bäume gefällt werden. Vergessen scheint auch das Versprechen der Grünen-Umweltsenatorin Anja Hajduk vom Herbst 2008, nur behutsam in die Natur einzugreifen.
Im Februar dieses Jahres wurde jedoch bekannt: Mehrere tausend Bäume werden abgeholzt, 700 sind bereits gefällt. Anwohner, Umweltverbände und Medien reagierten entsetzt, als das Ausmaß des Baummassakers bekannt wurde. »Eine Internationale Gartenschau, deren Markenzeichen Kahlschlag ist, darf es nicht geben«, wettert Marianne Groß vom Einwohnerverein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg und sagt: »Wir haben den Eindruck, dass hier Landschaft neu erfunden werden soll, statt mit dem Bestand zu planen.« Pikant ist eine Schlagzeile in der »Hamburger Morgenpost«: »Umweltschützer holzt 3000 Bäume ab.« Hintergrund: igs-Chef Heiner Baumgarten ist auch Vorsitzender des BUND in Niedersachsen. Von seinen Hamburger Naturschutz-Kollegen musste er sich anhören, nach »Gutsherrenart und ohne Rücksicht auf die wertvolle Natur in Wilhelmsburg« geplant und geholzt zu haben.
Nicht nur die Sorge um die Natur treibt die 50 000 Bewohner auf der Elbinsel um. Viele befürchten, dass Wilhelmsburg zum Trendviertel wie die Schanze wird – mit negativen Folgen wie steigende Mieten und Vertreibung der Alteingesessenen. Derweil pumpt Hamburg viel Geld in den Stadtteil. Neben dem igs-Etat investiert das städtische Wohnungsunternehmen SAGA/GWG 78 Millionen Euro im Rahmen der IBA in die Modernisierung des Quartiers. »Wilhelmsburg erlebt einen spürbaren positiven Imagewandel«, betont SAGA-Sprecher Mario Spitzmüller, »allein in unseren Wohnungen auf der Veddel und im Reiherstiegviertel leben schon mehr als 500 Hamburger Studenten, deren Wohnraum speziell gefördert wurde.«
Doch nicht alle Wohnungen sind so günstig wie die 178 Euro billigen Studentenbuden der SAGA. Im szenigen Reiherstiegviertel betreibt Bülent Boz seinen Textilhandel. Der Geschäftsmann beklagt, dass die Mieten zuletzt »explodiert sind«. Die Zahlen geben ihm recht: Der Quadratmeterpreis für neu vermietete Altbauwohnungen auf dem freien Markt stieg von 5,50 auf 7,30 Euro. Die Alteingesessenen, meist Migranten, könnten sich den Stadtteil bald nicht mehr leisten, meint Boz: »Viele leben hier am Existenzminimum oder sind arbeitslos.« Alle hoffen auf das Jahr 2013, in dem die igs vier Millionen Besucher in das ehemalige Schmuddelviertel locken soll. Auch Sengül Bulut, die ihren Laden »Kaffeeliebe« vor zwei Jahren eröffnet hat, hofft auf neue Kundschaft – zugezogene, Studenten, Künstler, Junglehrer. Alteingesessene schauen fast nie auf einen Milchkaffee bei ihr vorbei, trotz der moderaten Preise: »Die wollen lieber unter sich bleiben und betrachten die Neuen noch mit Skepsis.«
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