Protest in Kairo gegen »Erbfolge«
Al-Baradei fordert in Ägypten Wahlboykott
Um einen Wandel in der ägyptischen Politik durchzusetzen, fordert der Reformpolitiker Mohamed al-Baradei seine Landsleute zum Boykott der Parlamentswahlen im November auf. Die Wahl entspreche »nicht dem Willen des Volkes«, bevor nicht grundlegende politische Reformen im Lande eingeleitet worden sind, sagt der Friedensnobelpreisträger und frühere Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA). Er habe bereits eine Million Unterschriften für Reformen gesammelt, gab al-Baradei dieser Tage vor Anhängern in Kairo bekannt. Man sei auch zu Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Regierung bereit.
20 Jahre war al-Baradei außerhalb Ägyptens im Dienste der Vereinten Nationen tätig, zwölf Jahre davon für die IAEA. Seit seiner Rückkehr im Februar 2010 ist er zu einer Art Hoffnungsträger für die Opposition geworden. Er wolle sich dafür einsetzen, dass sich Ägypten demokratisch reformiert. Korruption und Vetternwirtschaft unter Präsident Hosni Mubarak hätten zu politischer Stagnation geführt. Das Regime beleidige das Volk, indem es ihm grundlegende Menschenrechte vorenthalte. Die regierende Nationaldemokratische Partei machte al-Baradei für Armut und Analphabetismus verantwortlich. Sie behandelten die Ägypter wie »Sklaven und Schafe«. Notstandsgesetze, wie ein Versammlungsverbot für mehr als fünf Personen, knebelten das Volk. Das Regime werde »früher oder später fallen«. Der Tempel, den es sich errichtet habe, »muss friedlich und mit zivilen Mitteln zum Einsturz gebracht werden«, verkündete al-Baradei.
Beobachter räumen dem Boykottaufruf jedoch wenig Chancen ein. Die Opposition ist gespalten, bisher haben die Al-Ghad (Partei von Morgen, liberal), die Kefaya-Bewegung (Genug) und die Kommunistische Partei zum Boykott aufgerufen. Die größte Oppositionspartei, die Muslim-Bruderschaft, sitzt allerdings seit den Wahlen 2005 mit 88 Abgeordneten im Parlament, die liberale Wafd-Partei mit sechs Abgeordneten.
Die Parlamentswahlen gelten als wichtiges Signal für die Präsidentschaftswahlen 2011. Ob al-Baradei dazu selber antritt, will er davon abhängig machen, ob politische Reformen einer unabhängigen Politik im Land reale Chancen einräumen. Nachdem junge Ägypter und Reformanhänger ihn in einem offenen Brief dazu aufgefordert hatten, sagte er, nur wenn die Wahlen frei, gerecht und von internationalen Beobachtern überwacht würden, gehe er ins Rennen.
Der amtierende Präsident Hosni Mubarak, der Ägypten eng an die Seite verschiedener USA-Regierungen gesteuert hat, regiert das Land am Nil bereits seit 1981. Allgemein wird vermutet, dass der 82-Jährige im kommenden Jahr seinen Sohn Gamal als Nachfolger ins Rennen schicken werde. Als weiterer Kandidat wurde kürzlich auch Omar Suleiman genannt, der Chef des Geheimdienstes. Das war offenbar nicht in seinem Sinn. Entsprechende Plakate verschwanden innerhalb weniger Stunden, und zwei unabhängige Zeitungen, die darüber berichten wollten, mussten ihre Tagesauflagen einstampfen.
Mubarak regiert das Land mit harter Faust, nicht zuletzt mit Hilfe des allgegenwärtigen Geheimdienstes. Seit fast drei Jahrzehnten gelten Notstandsgesetze, was vor allem Oppositionelle, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zu spüren bekommen. Verfassungsänderungen 2005 und 2007 ermöglichten zwar den Einzug der Opposition ins Parlament, und neben Mubarak durften fortan auch andere Kandidaten für die Präsidentschaft kandidieren. Allerdings musste Mubaraks damaliger Herausforderer, Ayman Nour (Al-Ghad), eine herbe Niederlage einstecken und wurde nach den Wahlen wegen angeblicher Dokumentenfälschung ins Gefängnis gesteckt.
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