Dörfer – vom Leben nicht »abgehängt«
Rosa-Luxemburg-Stiftung diskutierte über Selbstbehauptung strukturschwacher Regionen
»Lohmen, das Dorf mit Zukunft, in dem die Landbewohner die Hände nicht in den Schoß legen«, schrieb ND im Jahr 2004 über die 800-Seelen-Gemeinde bei Güstrow. Nun, sechs Jahre später, erzählte Heinz Koch, Vorsitzender des Kulturvereins, im Gesprächskreis Ländlicher Raum der Rosa-Luxemburg-Stiftung von noch mehr Aktivitäten und Erfolgen. Das brachte dem Ort übrigens die Auszeichnung mit der Europafahne des Europarates ein.
Neue Wirtschafts- und Sozialstrukturen wurden geschaffen. Das Dorf macht sich einen Namen über Landesgrenzen hinaus mit der Rehabilitationsklinik, Pflegeeinrichtungen und Tourismus, mit Landwirtschaft, Dienstleistungen und Handel. Seit der Wende lag die Arbeitslosigkeit in Lohmen nie höher als 3,5 Prozent. Bauland wurde unbürokratisch zur Verfügung gestellt, um Menschen im Dorf zu halten und neu anzusiedeln.
Sie bleiben auch nur, wenn das Dorf Lebensqualität und Gemeinsamkeit bietet. 150 Dörfler wirkten und wirken in Projekten mit, und es werden mehr. Der historische Dorfkern mit Kirche und Vierseitenhof wurde erhalten. Der restaurierte Alte Dorfkrug mit historischem Keller ist Begegnungsstätte mit »Teestunde«, der alte Speicher wurde zum Dorfmuseum. Ein archäologischer Lehrpfad und 30 Kilometer Wanderwege entstanden. Töpfer- und Bücherstube ziehen auch die Kinder in ihren Bann. Denen wird zudem mit dem »Hegering« Umweltbildung geboten. Sommergalerien fördern Kunstinteresse und Kreativität, Dorffeste, Märkte und Ausflüge die Gemeinschaft. Das Geschaffene basiert auf Gemeinschaftseinsätzen, Spenden, Mitteln aus EU, Bund und Land.
Doch Koch mahnt neue Initiativen an; sonst reichen in absehbarer Zeit die Arbeitskräfte nicht mehr aus. Denn der demografische Wandel ist auch hier spürbar, wenn auch nicht so heftig wie im Bundesland. Ein Marketingverbund wird sich für weitere Ansiedlung und mehr Beschäftigung engagieren. »Gesundheitsdorf« bleibt das Leitbild für die Zukunft.
In Lohmen hat sich ein ganzes Dorf, ermutigt durch kreative Köpfe wie Heinz Koch und Bürgermeister Bernd Dikau, am eigenen Schopf aus der schwierigen Situation nach der Wende gezogen.
Zinzow, ein Weiler in Ostvorpommern, ist ein Modell, wie Einwohner – 147 an der Zahl – »von außen« aktiviert werden können. Bundesverkehrs- und Landesagrarministerium unterstützen es. Nach der Wende hatte das Dorf die innere Kraft zu sozialer Belebung verloren. Im Gesprächskreis konnte nun die Vorsitzende Gabriele Würfel den Dorfgemeinschaftsverein »Wir Zinzower«, der seit einem Jahr besteht und schon 23 Mitglieder hat, präsentieren.
Die Brandenburger Entwicklungsgesellschaft iqconsult wurde beauftragt, die Möglichkeiten für die Revitalisierung des Dorfes zu ergründen. »Wir haben mit jedem im Dorf gesprochen«, so Martin Schmidt-Roßleben, »und allen fehlte die einstige Gemeinschaft«. Kommunikation und Teilhabe waren für sie für die Zukunft wichtiger als wirtschaftliche Ziele.
Neuzugezogene engagieren sich: Veit Vielhaber und seine Familie, aus Westfalen im Ort gelandet, hatten Gutsgelände und Schloss gekauft, restauriert, für Touristen erschlossen und eine Brennerei eröffnet. Die Agrargenossenschaft, ein Ökobetrieb und Unternehmen bieten einige Arbeitsplätze.
Die Gemeinsamkeit stellte sich ein bei der Herstellung traditioneller Produkte wie Marmelade, Wurst und Schinken sowie Strickwaren. Inzwischen bestehen, wie Würfel berichtet, auch Korbflechter-, Koch- und Obstbaugruppen. Ein Dorfladen soll entstehen. Im Gespräch ist sogar eine kooperative Firma, die die Produkte vermarktet. Neu- und Ureinwohner sind zusammengerückt. Dank der Förderung entstanden Straßen, die das abgekapselte Dorf nun an die »Außenwelt« anbinden.
In Zinzow, so Schmidt-Roßleben, ist eins geschehen: Der Wert eigener Aktivität wurde erkannt, neue soziale Kontakte dabei initiiert. Das Modell könnte in der Region und im Lande Resonanz finden.
Im Mai 2011 findet die Internationale Dorfkonferenz der ERCA (Vereinigung der Dorfbewegungen Europas) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung statt. Lohme und Zinzow haben dort etwas einzubringen.
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