Streit um Ayodhya köchelt weiter

Indiens Oberstes Gericht wird urteilen müssen

  • Henri Rudolph, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.
Außer den Commonwealth-Spielen in Delhi beschäftigt die indische Öffentlichkeit ein brisantes politisches Thema: das Urteil eines Gerichts in Allahabad (Unionsstaat Uttar Pradesh) zur Zukunft des umstrittenen Stückes Land in Ayodhya. Das Gelände, auf dem bis Dezember 1992 eine fast 500 Jahre alte Moschee stand, betrachten die Hindus als Geburtsplatz ihres Gottes Rama.

Fanatische Hindus unter Anleitung von Spitzenpolitikern der fundamentalistischen Indischen Volkspartei (BJP) hatten die unter Denkmalschutz stehende Babri-Moschee am 6. Dezember 1992 in wenigen Stunden dem Erdboden gleich gemacht. Der Vandalenakt, ein Angriff auf die säkularen Strukturen des modernen Indiens, vertiefte den Graben zwischen der muslimischen Minderheit und der hinduistischen Mehrheit und hatte Unruhen mit hunderten Toten zur Folge. Die BJP hatte aus politischen Motiven auf die Zerstörung der Moschee hingearbeitet. Für ihre nicht eindeutig bewiesene These, einst habe auf dem Gelände ein Tempel gestanden, der die Geburtsstätte des göttlichen Helden Rama markierte, fand sie große Unterstützung. Es sei höchste Zeit, anstelle der Moschee einen prächtigen Rama-Tempel zu bauen. Um diesen Anspruch zu untermauern, wurden dort umgehend überdachte Götterstatuen aufgestellt. Seither strömen unermüdlich fromme Pilger nach Ayodhya.

Die BJP wurde für diese »Initiative« reichlich belohnt und mauserte sich zur stärksten Oppositionspartei, die es zeitweilig sogar ans Regierungsruder schaffte. Indes hielt der Streit um Grund und Boden rund um die geschleifte Babri-Moschee an. Selbst in ihrer Regierungszeit wagte es die BJP nicht, den versprochenen Prunktempel bauen zu lassen.

Vorige Woche aber fällte ein Gericht in Allahabad mit nahezu 18-jähriger Verspätung ein Urteil: Das Gelände soll dreigeteilt werden. Je ein Drittel sei der höchsten Körperschaft der Muslime, dem All-India Muslim Personal Law Board, der hinduistischen Sekte Nirmohi Akhara und einer weiteren hinduistischen Partei zuzusprechen. Der offensichtliche Kompromiss wurde vor allem von den Muslimen mit gemischten Gefühlen aufgenommen: Die Richter hätten sich weniger von Tatsachen als von gutem Glauben und religiöser Gläubigkeit leiten lassen, hieß es. Die Zerstörung der Moschee als schwerer Gesetzesverstoß wurde nicht einmal erwähnt.

An Tatsachen herrscht indes Mangel. Historiker und Archäologen haben sich bis heute nicht darauf geeinigt, ob das umstrittene Gelände wirklich der Geburtsort Lord Ramas ist und ob dem Bau der Babri-Moschee die Zerstörung eines Rama-Tempels vorausging. Die Richter nahmen die Mythologie zur Grundlage ihres Entscheids. Die BJP konnte ihre Genugtuung kaum zügeln, denn das Urteil ebnet den Weg zum Tempelbau.

Die regierende Kongresspartei erklärte dagegen am Mittwoch, das Urteil rechtfertige nicht die Zerstörung der Babri-Moschee, immer noch sei eine außergerichtliche »freundschaftliche und friedliche Regelung« zwischen den Streitparteien möglich. Und Premier Manmohan Singh betonte, es blieben drei Monate Zeit, beim Obersten Gerichtshof Einspruch zu erheben. Genau das hat die muslimische Körperschaft vor. Und so wird sich das höchste Gericht wohl demnächst mit dem Allahabad-Urteil befassen und eine endgültige Entscheidung treffen.

Die Bevölkerung nahm das Urteil übrigens besonnen auf. Befürchtet wurden blutige Zusammenstöße, weshalb das Innenministerium um Ayodhya und in benachbarten Unionsstaaten über 50 Kompanien Sicherheitskräfte aufmarschieren lassen hatte.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.