Einsam, zweisam, dreisam?
Überall in Europa vernetzen sich Sozialdemokraten, Grüne und Linke auf der Suche nach Gemeinsamkeiten
Die politischen Blöcke sind zurück. In vielen Ländern Europas stehen sich Konservative und Sozialdemokraten nach Umfragen und Wahlen immer öfter gleichauf gegenüber. Einen Nutzen aus der Bildung Großer Koalitionen mag mal die eine, mal die andere Seite ziehen. Einen langfristigen Erfolg können aber beide daraus trotz allem nicht generieren. Und so rückt neben den Grünen plötzlich die radikale Linke als Bündnispartner wieder ins Blickfeld der Sozialdemokratie.
Vor wenigen Wochen noch erklärte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel auf dem Bundesparteitag seiner Partei in Berlin, dass die LINKE gerade dabei sei, sich überflüssig zu machen. Wenn er sich da mal nicht täuscht. Denn der Blick über die deutschen Lander hinaus – über die Verweigerung der Sozialdemokraten in Thüringen mit der Partei links von ihr eine Koalition zu bilden oder dem gewollten Scheitern der Koalitionsverhandlungen in NRW – zeigt, dass in anderen europäischen Ländern Sozialdemokraten strategische Vorbereitungen treffen, andere Wege als die deutschen Genossen zu gehen. Wohin die Strategie der deutschen Sozialdemokratie führen kann, war jüngst in Tschechien zu beobachten. In Prag weigerten sich die Sozialdemokraten, mit der Kommunistischen Partei Böhmen und Mährens (KSCM) zu kooperieren. In der Folge konnte das numerische Patt nach den Parlamentswahlen zwischen dem weit gefassten linken Lager und den Konservativen nicht mit der Bildung einer Mitte-Links-Regierung aufgelöst werden.
In Frankreich hingegen hat die sozialistische Parteiführerin Martine Aubry erkannt, dass das Heil in einer Pattsituation zwischen dem rechts-konservativen und sozialdemokratisch-linken Lager nicht immer in der Bildung einer sogenannten Großen Koalition zu suchen ist. Derartige Verbindungen haben der Sozialdemokratie nicht nur in der jüngsten Vergangenheit eher geschadet, als genutzt. Strategisch ist dieses Patt eben auch durch die Stärkung einer auf lange Frist angelegten Mitte-Links-Option aufzulösen.
Politischer Kurswechsel nur mit den Linken
In Frankreich haben sich Martine Aubry und ihre Berater mittlerweile mit der Tatsache abgefunden, dass ohne die Einbindung der radikalen Linken, der Kommunistischen Partei (PCF) und der Parti de Gauche (PG), eine Macht- und Regierungsoption für die Sozialisten kaum mehr zu realisieren ist. Doch nicht nur in Frankreich gibt es diese Erkenntnis. Die etablierten Parteien haben bei den zurückliegenden Wahlgängen in zahlreichen europäischen Staaten teilweise dramatische Verluste hinnehmen müssen. Gleichzeitig gewinnen Parteien an den politischen Rändern – oftmals vor allem rechtspopulistische Parteien – an Akzeptanz und Prozenten hinzu. Ein Bild, welches zuletzt in den Niederlanden oder in Schweden, aber auch in Frankreich zu beobachten war.
Im Ergebnis solcher Analysen zog Aubry in einem breiten Bündnis zwischen Front de Gauche (der Wahlvereinigung zwischen PCF und PG), den Grünen und den Sozialisten beispielsweise in die zweite Runde der Regionalwahlen im letzten Frühjahr. Auf der Habenseite stand damals der Sieg in 21 von 22 Regionen im europäischen Teil Frankreichs. Auf der Sollseite steht nun die Formierung einer breiten Mitte-Links-Front für die Präsidentschaftswahlen 2012. Ohne Grüne und Linke wird Aubry nicht in den Élysée einziehen können. Und so sehen die Architekten des letzten Mitte-Links-Bündnisses Ende der 90er Jahre unter dem Sozialisten Lionel Jospin, der Allianz »gauche plurielle« (pluralistische Linke), die Zeit für eine solche Formation erneut gekommen. Zwar liegt der Fokus der Sozialisten nun mehr auf den Grünen, die Tür für Kommunisten und Linke ist dennoch weit offen.
In Portugal beispielsweise stützt die dortige Linksblock, der Bloco de Esquerda, den Linkssozialisten Manuel Alegre in dem bevorstehenden Wahlkampf um das Präsidentenamt. In Lissabon können der Bloco und die Kommunistische Partei Portugals (PCP) zudem auf Zustimmungswerte von insgesamt über 20 Prozent verweisen, ein politisches Gewicht also, dem die regierenden Sozialisten in Zukunft kaum mehr ausweichen können.
In Norwegen ist eine rot-rot-grüne Regierung bereits in der zweiten Legislatur Realität. In Spanien und Italien wächst vor allem aus den Gewerkschaften heraus der Druck auf die Sozialisten trotz der augenblicklichen Schwäche der kommunistischen Parteien, die »Blockkonfrontation« an- und Gespräche über Mitte-Links-Bündnisse wieder aufzunehmen.
Man darf sich keine Illusionen machen, der Schwenk einiger sozialdemokratischer oder sozialistischer Parteien nach »links« ist weniger inhaltlicher, als vielmehr strategischer Natur. Das Konzept des »New Labour« oder der »neuen Mitte« haben europaweit der Sozialdemokratie langfristig Wahlerfolge, Identität und Mitglieder gekostet. Sie haben teilweise sogar zur Herausbildung neuer Parteien links von der Sozialdemokratie geführt. Trotzdem ist in vielen sozialdemokratischen Parteien nicht entschieden, ob sie eine wirklich inhaltliche Kurskorrektur vornehmen oder ob es bei einem bloßen taktischen Richtungswechsel bleibt. Klar ist aber dagegen, dass die Polarisierung zwischen »links und rechts« zunimmt.
Wollte die Sozialdemokratie also diese Polarisierung aufgreifen und für sich selbst erfolgreich nutzbar machen, kann sie auf die Parteien links von ihr nicht verzichten. Bei den radikalen Linken jedoch sitzt der Schock über den eigenen Niedergang in Folge mancher Regierungsbeteiligungen Ende der 90er Jahre tief. Die Linke war damals im Verbund mit der Sozialdemokratie zu wenig kenntlich und hat über die Regierungsbeteiligungen viel an linker Identität, wie in Frankreich, Spanien und Italien, verloren. Der Frust in der radikalen Linken hat aber auch bei einigen sozialdemokratischen Parteien zu dem Schluss geführt, dass es ihnen – wollte man neue Bündnisse aufbauen, die man um der Macht willen dringend braucht – nicht darum gehen kann, den jeweiligen linken Junior-Partner über ein Regierungsbündnis »zu entzaubern« oder gar im folgenden Wahlgang aus dem parlamentarischen System zu entfernen.
Crossover-Debatten in Skandinavien
Dieses Herangehen hat in Schweden zum »längsten Wahlkampf in der schwedischen Geschichte« geführt, wie es der Wissenschaftler Henning Süssner kürzlich formulierte. Zwar wurde das Ziel, die amtierende bürgerliche Regierung durch eine rot-rot-grüne Mehrheit zu ersetzen, verfehlt, dennoch ist vor allem das strategische Herangehen zur Herausbildung einer linken Mehrheit für weitere europäische Mitte-Links-Bündnisse interessant. Bereits im Dezember 2008 hatten Sozialdemokraten, Grüne und schwedische Linkspartei eine Wahlallianz gebildet und angekündigt, mit einer gemeinsamen Wahlplattform zur Reichstagswahl im September 2010 anzutreten. Im Laufe von 15 Monaten wurden ein gemeinsames Regierungsprogramm erstellt und die Ministerien zwischen den Parteien verteilt. Der Vorteil einer solchen »vorgezogenen Koalitionsverhandlung« bestand vor allem darin, ohne den Druck eines Wahlergebnisses, in aller Ruhe und mit gegenseitigem Respekt über Inhalte, Strategien und Identitäten zu debattieren.
In Dänemark gehen Sozialdemokraten und Volkssozialisten einen ähnlichen Weg. Zwar stehen erst im kommenden Frühjahr Parlamentswahlen an, dennoch setzten sich die Parteivorsitzenden bereits Ende vergangenen Jahres an einen Tisch und nahmen Gespräche über Inhalte und Ziele einer Mitte-Links-Regierung auf. Vorläufiger Höhepunkt war der Auftritt der sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Helle Thorning-Schmidt auf dem Parteitag der dänischen Volkssozialisten im Mai des Jahres. Beide Parteien haben sich als gleichberechtigte Partner akzeptiert, Offenheit prägt die Gespräche. Beide Vorsitzende sind zudem überzeugt, dass ihre Erfahrungen Auswirkungen auf die Verhältnisse zwischen sozialdemokratischen Parteien und Parteien der radikalen Linken in anderen europäischen Ländern haben werden. In Deutschland ist so seit einigen Monaten zu beobachten, wie sich immer neue Diskurs- und Strategiekreise zwischen SPD, Grünen und Linkspartei herausbilden.
Angenommen auch die deutsche Sozialdemokratie wäre in der Lage, einen strategischen Schwenk hin zu Mitte-Links im Bund zu vollziehen, rückten dann Allianzen wie in Skandinavien auch hierzulande in realistische Reichweite? Zur Beantwortung dieser und sich daran anschließender Fragen werden die inhaltlichen Auseinandersetzungen innerhalb der SPD maßgeblich sein.
Aber nicht nur die Sozialdemokraten schieben einen Berg an ungeklärten Fragen vor sich her. Auch die LINKE müsste ihrerseits Voraussetzungen schaffen, um politische Allianzen für linke, parlamentarische Mehrheiten in Deutschland möglich zu machen. Dieser Anforderung wird innerhalb der Partei häufig mit dem Verdacht begegnet, die LINKE solle in für sie essenziellen politischen Fragen linke Positionen einem bloßen Regierungsbündnis opfern. Nicht einmal offen auftretende Regierungsbefürworter in der LINKEN käme derartiges in den Sinn. Denn: Voraussetzung ist eben nicht die Preisgabe linker Identität und sozialistischer Positionen. Das sind die europäischen Erfahrungen des ausgehenden letzten Jahrhunderts. Unabdingbare Voraussetzung für Gespräche mit der hiesigen Sozialdemokratie ist aber vor allem die Herausbildung eines eigenständigen, selbstbewussten, programmatischen und sozialistischen Grundverständnisses innerhalb der Partei DIE LINKE.
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