Tusk entdeckt große Gefahr

Ablenkungsmanöver des polnischen Premiers

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.

Donald Tusk, Regierungschef und Häuptling der Bürgerplattform (PO), befindet sich auf dem Kriegspfad. Nach drei Jahren liberalen Waltens entdeckte Polens Premier urplötzlich eine große Gefahr für das Land und seine Bewohner: die »Händler mit dem Tod«, die legal verschiedene Aufputschmittel mit »unerhört profitablem Gewinn« verkaufen. Das ist freilich seit geraumer Zeit bekannt.

Am gleichen Tag, da Janusz Palikot im Warschauer Kongresssaal seine Bewegung »Modernes Polen« ins Leben rief, ließ Donald Tusk (Foto: dpa) über Tausend Inspekteure des Sanitätshauptamts (GIS) mit Polizeibegleitung in 970 Läden schicken, um den Verkauf von Drogen zu unterbinden, die nicht im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt sind. Das Zeug sei nämlich gesundheitsschädlich und – besonders für Kinder und Jugendliche – sogar lebensgefährlich. Die Geschäfte wurden geschlossen, die Türen mit gestempelten Papierstreifen zugeklebt. Er werde einen rücksichtslosen Kampf führen, um den unmoralischen Produzenten und Händlern das Handwerk zu legen. Dies erklärte der Regierungschef während einer auf allen Kanälen gezeigten Pressekonferenz.

In den Medien überwogen danach Kommentare, die angesichts der gegebenen Rechtslage auf die Aussichtslosigkeit der »Gesundheitsoffensive« Tusks verwiesen. Die mit der Aufschrift »Nicht einzunehmen« und »für Sammler« in verschiedenster Gestalt und chemischer Zusammensetzung verkauften »Stoffe« sind nach Meinung von Experten in Labors bisher nicht eindeutig identifizierbar. Man wisse mithin nicht, was in den »dopalacze« (Nachbrennern) steckt. Ärzte sind ratlos, wenn sie mit solchen »Nachbrennern« aufgeputschte Patienten entgiften sollen. In den vergangenen Wochen waren mehrere Schwerkranke in Krankenhäuser eingeliefert worden, einige starben »aus nicht feststellbarem Grund«.

Eine Blitzumfrage unter mehr als 80 000 Teilnehmern ergab Mitte vergangener Woche, dass 4 Prozent das »Zeug« oft genommen hatten, 6 Prozent mehrmals, 4 Prozent »nur mal zur Probe« und 86 Prozent nie.

Hauptproblem im Kampf mit den »Nachbrennern« ist die Rechtslage. Ein Gesetz aus dem Jahr 1985 hob die Bestrafung für den Besitz geringer Mengen von Narkotika zum »eigenen Gebrauch« auf. Seit 1997 und umso rigider seit 2000 wird wieder bestraft, was das illegale Geschäft mit natürlichem und chemischem »Stoff« übrigens erst recht aufblühen ließ. Hersteller und Verkäufer fürchten die Gesetze ohnehin nicht. Ihr Tun – behaupten sie – sei völlig legal. Der »König der Nachbrenner« Dawid Bratko droht der Regierung mit Entschädigungsforderungen. Tusk will in einem Monat ein neues Gesetz verabschiedet haben, das mit Geldstrafen bis zu einer Million Zloty und Gefängnis droht. Während einer Debatte im Sejm kündigte er an, die ganze Regierung werde sich darauf konzentrieren. Das hohe Haus möge ihn »über alle Parteien hinweg« unterstützen. Konzertierte Aktion wie noch nie. Auf der Strecke bleibt der längst fällige Disput über die Finanzen, die Staatsverschuldung und über die Gesundheitsreform.

Jacek Moskalewicz, Experte der Weltgesundheitsorganisation und Direktor am Warschauer Institut für Psychiatrie und Neurologie, kommentierte für »Polityka«: Wir haben eine Gesellschaft geschaffen, in der der freie Markt herrscht, und plötzlich müssen wir einsehen, dass der »lückenhaft« ist .

Die Läden sind zugeklebt, im Internet und im Untergrund läuft das Geschäft ungestört weiter.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.