Abtauchen in einen Edelstein
Zu Gast in der Therme Vals und bei ihrem Erbauer, dem Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor
Früh am Morgen steige ich hinab in den Berg, um in einen Edelstein abzutauchen. Grün-türkis wie ein Smaragd schimmert er tief unter der Erde im Gneis. Was für ein überwältigender Anblick. Er lässt mich für einen Moment zögern, in das einladende Wasser der Felsentherme Vals im Schweizerischen Graubünden hineinzugleiten, und diese Vollkommenheit zu zerstören. Doch dann lasse ich mich in absoluter Stille im warmen Wasser treiben, die Gedanken verlieren sich irgendwo im Nichts.
Bis irgendwann die Neugier siegt: Was verbirgt sich wohl hinter den Öffnungen am Ende der versteckt liegenden Treppen, die hier und da in den Fels führen? Die Erkundungstour hat ein bisschen was von Weihnachtspäckchenöffnen. Eine Überraschung nach der anderen. Eine feuerrote Grotte, ein gletscherblaues Eisbad, ein duftendes Blütenbad, in dem Tausende Wiesenblumen schwimmen, ein mystisch beleuchteter Trinkstein, aus dem Quellwasser plätschert. Durch einen schmalen Gang gelangt man in ein Außenbecken, von dem aus man einen fantastischen Blick auf das Panorama des Valser Bergmassivs hat. In einer Grotte befindet sich eine Sauna, die hier Schwitzstein heißt. Ein langgezogener schmaler Raum, je weiter man in sein Inneres dringt, desto dicker die Nebelschwaden, immer heißer wird es, jeder Schritt vorwärts ist wie ein Vortasten in den unbekannten, unheimlichen Berg. Links und rechts beheizte Steinquader, die zum Ausruhen einladen. Kaum liegt man, schon überkommt einen eine wohltuende Schläfrigkeit, der Körper schlafft völlig ab. Wie lange ist es her, dass man dieses Gefühl so intensiv genossen hat? Schnell vergisst man Zeit und Raum.
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Genau das habe er gewollt, erzählt der Schweizer Stararchitekt Peter Zumthor. Als er Anfang der 90er Jahre die Ausschreibung der Gemeinde Vals zum Bau einer neuen Therme gewann, konnte keiner ahnen, dass sie einmal für viele Architekturstudenten aus aller Welt eine Art Mekka werden würde, das man wenigstens einmal im Leben gesehen haben muss. Der Kommune ging es vor allem darum, das Kurhaus mit Thermalbadehaus aus den 50er Jahren zu erneuern und das 1970 erbaute dazugehörige Hotel zu sanieren. Beides war in die Jahre gekommen und längst nicht mehr so attraktiv, dass man damit Touristen in Scharen anlocken konnte. Da der Gemeinde Vals durch ihr Abfüllwerk der Valser Mineralquelle, das Wasserkraftwerk Zervreila und die Kureinnahmen reichlich Wasserzinsen und Steuereinnahmen in die Kasse flossen, konnte sie sich einen Stararchitekten wie Peter Zumthor leisten.
Der brachte seine Ideen ein, die sich speisten aus dem natürlichen Umfeld – Stein, Wasser, Berg und Licht. Seine Beobachtungen und Empfindungen von und für die Elemente der Natur habe er in seine Skizzen einfließen lassen, erzählt der 67-Jährige. Gemeinsam mit den Dorfbewohnern, die sich erst zaghaft und dann immer stärker in die Diskussion um ihre neue Therme einmischten, sei letztlich das Modell entstanden. Nach Monaten hitziger Debatten stimmten fast alle Dorfbewohner dafür.
1994 wurde das Fundament gebaut, die Steinmetze setzten die ersten Schichten der insgesamt 60 000 auf den Millimeter genau geschnittenen Gneisplatten. Bis eines Tages die Sache ins Stocken geriet. Einer hatte seine Zweifel am Stammtisch geäußert, bald sprach das ganze Dorf davon. Die Bedenken betrafen nicht die Statik des Gebäudes. Auch nicht die Form, die ein bisschen wirkt, als hätten Außerirdische ein riesiges graues Raumschiff in der idyllischen Berglandschaft geparkt. Sie richteten sich allein gegen den Stein, mit und von dem die Valser seit Jahrhunderten lebten, und von dem sie meinten, ihn bis ins Detail zu kennen. Das Thermalwasser würde ihn mit seinen aggressiven Kräften abtragen, er werde sich auflösen wie eine Brausetablette, war man sich sicher. Eine Krisensitzung wurde einberufen, der beste Fachmann des Landes mit einer Expertise beauftragt. Sein Fazit nach gründlicher Untersuchung rettete nicht nur den guten Ruf Zumthors, sondern auch den Weiterbau der Therme. »Der Stein hält«, so der Geologe Dr. Eckhard. Er sollte Recht behalten.
1996 war der Bau aus Valser Stein, Beton und Glas fertig. Nur zwei Kilometer neben der Thermalquelle hatte Zumthor sein Meisterstück vollendet, das schon zwei Jahre später wegen seiner Einzigartigkeit unter Denkmalschutz gestellt wurde.
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Spricht Peter Zumthor, der 2009 mit dem Pritzker-Preis, der als der Nobelpreis für Architekten gilt, geehrt wurde, über die Felsentherme, dann wirkt er so entspannt, als sei er die letzten Stunden dort weggetaucht. Er redet leise, so, als wolle er damit seine Zuhörer zwingen, genau hinzuhören. Seine Gestik ist sparsam, und die Frage, ob er unter all seinen Projekten ein Lieblingskind habe, verneint er vehement. Vielmehr überkomme ihn immer ein bisschen Wehmut, wenn ein Projekt fertig ist und er loslassen muss, sagt er. Es sei so, als wenn das eigene Kind das Haus verlässt, um von nun an auf eigenen Füßen durchs Leben zu gehen. »Man wünscht ihm das Beste, beobachtet es mit respektvollem Abstand und lässt dennoch nie ganz los.«
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Manchmal jedoch schmerzt der Abschied besonders. Und hinterlässt tiefe Narben auf der Seele. Wie sein Projekt Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum »Topografie des Terrors«, für dessen Bau Peter Zumthor 1993 nach einer internationalen Ausschreibung von der Stadt Berlin den Zuschlag bekommen hatte. Die Bauarbeiten der gleichermaßen aufwändigen wie genialen Konstruktion begannen auch, doch mehr als drei Treppenhäuser wuchsen nicht aus der Erde. Mit der Begründung, der Bau trage »zu hohe finanzielle Risiken« kündigten die damalige Kulturstaatsministerin Christina Weiss und Berlins Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer neun Jahre nach dem ersten Spatenstich dem Architekten. Dem vorausgegangen war ein jahrelanger Streit, bei dem es Zumthor vor allem um die Qualität ging, den Auftraggebern wohl in erster Linie um die Kosten. Aber: Architektur muss Seele haben, ist er überzeugt, und die Änderungen an dem Projekt, die man ihm nahelegte, hätten die Seele des für ihn ganz besonderen Bauwerks zerstört. Am schwersten habe er die Bürokratie ertragen können, und der menschliche Zynismus ärgere ihn bis heute, sagte er gegenüber ND.
Obwohl man schon sehr genau hinsehen und hinhören muss, so kann er doch nicht ganz verbergen, dass er die vermeintliche Niederlage, seinen außergewöhnlichen Siegerentwurf nicht verwirklichen zu können, nie wirklich verwunden hat.
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Wenn der Architekt aber von seinen derzeitigen Projekten erzählt, blitzen die Augen wieder. Von dem Hotel »Nomads of Atacama«, das in der chilenischen Wüste entsteht, beispielsweise. Der wie ein flachgedrückter Reifen aussehende Bau ist nicht nur etwas Besonderes wegen seiner ungewöhnlichen Optik, er ist auch sein erstes Bauwerk in einer Wüste und somit eine neue Herausforderung für ihn. Ebenso wie das Hexendenkmal, das seinen Platz bei Vardø an einer der 18 Touristenstraßen Norwegens haben wird. Peter Zumthor vollendet damit gewissermaßen auch die letzte Arbeit der am 31. Mai verstorbenen New Yorker Bildhauerin Louise Bourgeois, mit der er gemeinsam an dem Mahnmal arbeitete, das an die Hexenverbrennungen im 17. Jahrhundert erinnert.
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Mit der Felsentherme Vals, sagen viele, habe er sein Meisterwerk geschaffen. Wer weiß, vielleicht toppt er das ja irgendwann noch. Denn einen Traum hat sich Peter Zumthor bisher nicht erfüllt – einen Konzertsaal. Den würde er gern irgendwann noch bauen, sagt er.
- Hotel Therme Vals, CH-7132 Vals, Tel.: 0041 81 926 80-80, Fax: -00, E-Mail: hotel@therme-vals.ch, www.therme-vals.ch
- Weitere Infos: Schweiz Tourismus, PF 16 07 54, 60070 Frankfurt, Tel.: (00800) 100 200-30, Fax: -31 (beides gebührenfrei), E-Mail:
- info@myswitzerland.com, www.myswitzerland.com und bei Graubünden Ferien, www.graubuenden.ch
- Literatur: Himmelsleiter und Felsentherme, Architekturwandern in Graubünden, Rotpunktverlag Zürich, ISBN: 978-3-85869-396-9, 32 €
Weitere Zumthor-Bauten:
1988 Kapelle Sogn Benedetg in Sumvitg (Graubünden)
1993 Wohnungen für Senioren, Chur (Graubünden)
1997 Kunsthaus Bregenz
2000 Schweizer Pavillon auf der Expo Hannover
2007 Kunstmuseum der Erzdiözese Köln
Weitere Fotos von der Therme Vals finden Sie unter:
www.nd-aktuell.de/thermevals
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