»Wende oder Tod«, doch die Wende wäre ein Wunder
Wieder ein »Schicksalsparteitag« der Sozialisten Bulgariens
Bereits in jetziger Verfasstheit machten die Sozialisten Bulgarien »zu einem Land ohne eine wirkliche linke Partei«, schrieb die Tageszeitung »Standart«. BSP-Chef Sergej Stanischew, bis Juli vergangenen Jahres Ministerpräsident, hatte bei den Parlamentswahlen 2009 den bisherigen Tiefpunkt zu verantworten: nur 17,7 statt 31 Prozent 2005, um Längen geschlagen von der populistischen Mitte-Rechts-Bewegung Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) des jetzigen Premiers Bojko Borissow. Inzwischen signalisieren Umfragen zwischen 12 und 14 Prozent. »Fast ein Glück, dass im kommenden Jahr bloß Kommunal- und Präsidentschaftswahlen sind«, meint Wladko Stojanow, Sprecher einer Plowdiwer BSP-Basisorganisation. »Bei Parlamenstwahlen wären wir mit vier Prozent ganz draußen.«
Namhafte Leute in der BSP-Führung liefern sich deshalb mit dem Parteivorsitzenden heftige Verbalschlachten. Kyril Dobrew etwa beklagt, dass der Partei »Vertrauenswürdigkeit gänzlich abhanden gekommen« sei, Krasimir Premjanow, dass die Führung die »Mitgliedermassen völlig demotiviert«. Doch bei fast allen Kritikern überwiegt eine Art Überwinterungsstimmung. Georgi Kadiew, immerhin Mitglied des BSP-Exekutivkomitees, antwortete der Zeitung »Sega« auf die Frage, warum er nicht einfach für den Parteivorsitz kandidiere: »An solchen Abstimmungen über diesen Posten, zu denen ohne monatelange parteiinterne Wahlkampagne einfach mal so um 9 Uhr aufgerufen wird und die spätestens um 12 Uhr beendet sind, beteilige ich mich nicht.«
Das klingt fast honorabel, doch lenkt es vom eigentlichen Problem ab. Die linksliberale »Trud« trifft es recht gut: »Die BSP brauchte eine diametral andere, neue Politik.« Doch wie die aussehen könnte, weiß oder sagt niemand in der Partei. Und wer doch, der gehört meist zu einer der informellen Plattformen oder Abspaltungen ohne realen politischen Einfluss.
Der BSP-Geburtsfehler ist die Liaison mit dem Neoliberalismus. Das entsprechende ökonomische Transformationsmodell war 1990 von der ersten BSP-Regierung bei den US-Ökonomen Richard W. Rahn und Ronald D. Utt in Auftrag gegeben worden. »Mit ihm wandelte sich die kommunistische Nomenklatura der volksdemokratischen Zeit in eine ›rote Bourgeoisie‹«, sagt der Historiker Petko Simenow, der 1989 in Sofia mit am Runden Tisch saß.
Zum einen hat dieser Kurs eine maßgebliche Gruppe in der BSP neureich gemacht. Zum anderen ist die Partei mit seither fünf Regierungsbeteiligungen maßgeblich für die heutige Lage in Bulgarien verantwortlich: beim Bruttosozialprodukt pro Kopf Schlusslicht in der EU, beim UNO-Sozialindex hinter Panama und vor St. Kitts and Nevis auf Platz 53.
Die BSP – 1989/90 mit vielen früheren Spitzenkadern direkt aus der Kommunistischen Partei Bulgariens (BKP) hervorgegangen – hatte ihre volksdemokratische Macht direkt in eine parlamentarisch-demokratische gewandelt. Auch deshalb hat heute manche Kritik aus der BSP-Führungschicht einen irritierenden Nebenton. »Unsere gegenwärtige Krise ist unübersehbar und umfassend: politisch, personell, innovatorisch«, sagt Brigo Asparuchow dem staatlichen bulgarischen Fernsehen. Der inzwischen 65-Jährige war lange BSP-Parlamentsabgeordneter. Zu volksdemokratischen Zeiten war er Leiter einer Hauptabteilung der Staatsicherheit, zu späteren, bürgerlichen Zeiten bis 1997 Direktor der entsprechenden Hauptabteilung des Nachfolgedienstes. Das mag für seine fachliche Kompetenz sprechen, seine Wendigkeit allerdings weniger für moralische Integrität. So hat der häufig zu hörende Vorwurf, die BSP leide an gravierenden moralischen Defiziten, vielfach Namen und Adresse.
»Ich fühle mich nicht an den Parteivorsitz gefesselt, aber ich werde auch nicht davonlaufen«, kündigte Sergej Stanischew an. »Es ist einfach eine Lüge zu behaupten, in der Partei habe sich seit der Wahlniederlage 2009 nichts bewegt.« Niemals zuvor sei »aktiver gearbeitet worden«. Woran und mit welchem Ergebnis, sagte Stanischew bisher nicht. Und viele bezweifeln, dass er es auf dem heutigen »Schicksalsparteitag« tun wird.
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