Linke aller Schattierungen begleiten die Aktionen
Lange schon war die PS nicht so präsent, doch einig ist sie nicht
Das politische Spektrum reicht von der radikalen Linken in Gestalt der undogmatischen extrotzkistischen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) und der traditionsproletarisch-trotzkistisch ausgerichteten Partei Lutte Ouvrière (Arbeiterkampf – LO) über die Französische Kommunistische Partei und die Linkspartei (Parti de Gauche – PdG) bis zur Sozialistischen Partei (PS). Alle sind sie seit Beginn der Proteste gegen die »Reform«, seit den Demonstrationen am 27. Mai und am 24. Juni, deutlich erkennbar vertreten. Seit langen Jahren schon hat man eine derart massive Präsenz der PS, der französischen Sozialdemokratie, bei Demonstrationen zu einem sozialen Protestthema nicht mehr erlebt – auch nicht während ihrer Oppositionsphasen.
So weit der schöne Anschein: Alle linken Kräfte unterstützen den Protest gegen das Vorhaben, die 1982/83 unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand und Premierminister Pierre Mauroy eingeführte Rente ab 60 abzuschaffen. Ohnehin gilt diese Grenze nur für jene, die ihre vollen Beitragszeiten zur Rentenkasse beisammen haben, die anderen müssen bis 65 warten oder aber Abzüge in Höhe von sechs Prozent pro fehlendem Beitragsjahr hinnehmen. Hinter den Kulissen allerdings verbergen sich massive Konflikte um das Thema.
Einigkeit herrscht noch darüber, dass die Obergrenze von 65 nicht angetastet werden soll: Die französische Sozialdemokratie tritt ebenso wie die links von ihr stehenden Parteien deutlich gegen deren Anhebung auf 67 ein. Doch was die Beibehaltung der Untergrenze – also des Renteneintrittsalters 60 – betrifft, ist die Position der PS schon sehr viel weniger deutlich.
Parteichefin Martine Aubry, die innerhalb der Partei derzeit das Mitte-Links-Spektrum abdeckt, sprach sich im Januar zeitweilig für die Anhebung dieser Untergrenze auf »61 oder 62« aus. Daraufhin hagelte es Proteste, auch aus der eigenen Partei, während NPA-Sprecher Olivier Besancenot scharfe Kritik in der Öffentlichkeit übte. Daraufhin zog Aubry ihren Vorstoß Mitte Februar zurück und berief sich darauf, falsch zitiert worden zu sein.
Heute schreibt ihre Partei das Recht auf »die Rente ab 60« in dicken Buchstaben vorne auf ihre Flugblätter. In kleineren Lettern und auf der Rückseite steht allerdings auch, dass die Sozialdemokratie dafür verlängerte Beitragszeiten verlangen will: Bis zum Jahr 2020 sollen es 41,5 Beitragsjahre werden – die Regierung plant dasselbe für 2018. Danach soll die Beitragsdauer »abhängig von der Entwicklung der Lebenserwartung« noch weiter steigen. Faktisch also würde kaum jemand real noch das Recht in Anspruch nehmen können, wirklich mit 60 Jahren in Rente zu gehen, es sei denn, er nähme erhebliche Strafabzüge wegen fehlender Beitragsjahre in Kauf.
Dies moniert etwa PdG-Chef Jean-Luc Mélenchon, aber auch der innerparteiliche Kritiker Gérard Filoche, der sowohl ein Vertreter der Linken als auch hauptberuflicher Arbeitsrechtler ist. Hinter den Kulissen besteht keinerlei Einigkeit über die Zielsetzungen in der Rentenpolitik.
Als der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington vergangene Woche das französische »Reformprojekt« begrüßte, bedankte sich der konservative Arbeitsminister Eric Woerth ostentativ bei dem französischen Sozialdemokraten Dominique Strauss-Kahn, der seit 2007 Direktor des IWF ist. Strauss-Kahn hatte im Frühjahr betont, das Rentenalter stelle für ihn »kein Tabu« dar. Auch der ehemalige sozialliberale Premierminister Michel Rocard distanzierte sich jüngst in einem Interview davon, dass seine Partei – vordergründig – den Sozialprotest unterstützt.
Die Französische KP und die Parteien der radikalen Linken treten unterdessen für die Forderung der Mehrheit unter den Gewerkschaften ein, die Rente ohne Abzüge ab 60 zu garantieren. Die NPA fordert darüber hinaus zur Durchsetzung dieser Forderung einen Generalstreik. Ihr Sprecher Olivier Besancenot spricht davon, dass »ein neuer Mai 1968 möglich« sei.
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