Keine Koalition in der Opposition

SPD, LINKE und Grüne ein Jahr nach der Wahl: wortgewaltig und entwicklungsgestört

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Jahr Schwarz-Gelb war ihnen Anlass zu unerbittlicher Beurteilung. Jede für sich, zogen SPD, Linkspartei und Grüne Bilanz und ließen dabei kein gutes Haar an der Regierung Merkel. Doch dabei boten sie auch kein Bild der Alternative, das vielversprechend aussähe.

Das Foto spricht Bände. Erst ein einziges Mal, nämlich bei dieser Veranstaltung des DGB gegen die Pläne der Bundesregierung zur Gesundheitsreform, haben sich im ersten Jahr seit der Bundestagswahl die Parteichefs der Opposition zu einer gemeinsamen Botschaft aufgerafft. Von Einvernehmen der Protagonisten kann trotz der gemeinsamen Ablehnung einer Kopfpauschale auch hier nicht die Rede sein. Jede Kühltruhe bietet dagegen ein anheimelndes Klima.

Die drei Parteien haben es zugegeben schwer. Allein deshalb, weil keine von ihnen bisher überzeugend in die ungewohnte Rolle gefunden hat, die ihnen die Wähler zugewiesen haben. Die SPD tut so, als sei nicht sie es maßgeblich gewesen, die in den letzten Jahren die gesetzlichen Bedingungen geschaffen hat, deren Auswirkungen sie jetzt kritisiert. Die LINKE sucht noch nach ihrem spezifischen Weg zwischen Regieren und Opponieren, auf einem stabilen Sockel ihrer Anhängerschaft zwar, aber zugleich hilflos in der ihr von den Medien zugewiesenen Rolle der unverdient zu Ruhm gelangten Außenseiter. Und die Grünen wagen wegen des unerklärlichen Aufschwungs in der Wählergunst offenbar überhaupt keine klare Positionierung außer gegen die Bundesregierung, weil sie nicht wissen, welche Wirkung dies auf die Umfrageergebnisse hätte. So klagen die Grünen über »hemmungslose Klientelpolitik und soziale Kälte«, SPD-Chef Sigmar Gabriel schimpft, die Regierung denke »im Wesentlichen darüber nach, welche Lobbyinteressen zu bedienen sind«, und die LINKE moniert, die Lobbyisten handelten mit der Regierung Merkel hinter verschlossenen Türen ihre Gesetze aus. Man übertrifft sich mit starken Worten: »Ein verlorenes Jahr«, »Politik zum Abgewöhnen«, »Planlos, schamlos, aussichtslos«. Doch selbst bei gleichem Urteil scheint es, als seien die Unterschiede letzten Endes doch wichtiger.

Das hat gute Gründe. Die Gemeinsamkeiten erschöpfen sich schnell, wenn es über allgemeine Willensbekundungen hinausgeht. Die SPD sucht den Kompromiss zwischen eigener Regierungszeit und jetziger oppositioneller Renitenz. Die Grünen, deren Regierungszeit schon vier Jahre länger zurückliegt, verlassen sich offenbar vollkommen auf die Vergesslichkeit des Wählers. Und die Linkspartei muss ertragen, wie SPD und Grüne starke Worte gegen Armut, Niedriglöhne und Leiharbeit finden, sich den LINKE-Forderungen annähern und sie zugleich der Regierungsunfähigkeit zeihen.

Es gibt keine Koalition in der Opposition, wie Politiker, die um Profilierung der eigenen Partei ringen, unisono hervorheben. Insofern ist das jetzige Bild kein Orakel für die Zeit nach der Bundestagswahl 2013. Und auch wenn SPD und Grüne ihrer umfragegenährten Hoffnung auf Rot-Grün 2013 im Bund freien Lauf lassen, hält Gabriel den Führungsanspruch sogar in Baden-Württemberg aufrecht, wo die Grünen-Aussichten besonders günstig stehen. »Ich möchte nicht, dass ein grüner Ministerpräsident die Richtlinien der Politik bestimmt.« Einen Links-Landeschef zu wählen, wie es in Sachsen-Anhalt im nächsten Jahr womöglich zur Debatte steht, schließt die SPD weiter rigoros aus. Die SPD ist von einer Erholung, in den Umfragen wie der Mitgliedschaft, weit entfernt. Doch sie zehrt von der Wortführerschaft, die ihr die Öffentlichkeit bisher noch automatisch zubilligt.

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