Erfolglos gegen die Restauration

Der einzige Nachkriegsgeneralstreik geriet schnell in Vergessenheit

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 3 Min.
Heute jährt sich der einzige Generalstreik in Westdeutschland. Rund neun Millionen Beschäftigte legten am 12. November 1948 die Arbeit nieder. Ihre Ziele erreichten sie nicht.

1948 war das Jahr, in dem die Weichen für die grundlegenden Wirtschafts- und Verfassungsstrukturen der künftigen Bundesrepublik gestellt wurden. Die Zeichen standen auf Restauration. Im westdeutschen Wirtschaftsrat setzte sich zunehmend die wirtschaftsliberale Auffassung des Vorsitzenden Ludwig Erhard durch. Im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz ausarbeitete, wurden konkrete Ausgestaltungen des Sozialstaatsprinzips, das selbst innerhalb der CDU geforderte Recht auf Arbeit und eine Präzisierung des Streikrechtes von den Protagonisten Adenauer und Carlo Schmidt (SPD) blockiert. Die Gewerkschaften und der sie koordinierende Gewerkschaftsrat – der DGB wurde erst ein Jahr später gegründet – wurden so zunehmend an den Rand gedrängt.

Vor diesem Hintergrund nahmen 1948 die regionalen Aktivitäten der Gewerkschaften zu. Vor allem die Wiedereinführung der Preiskontrollen und Forderungen nach betrieblicher Mitbestimmung, von Erhard als »Tyrannei einer Bonzokratie« verunglimpft, standen auf ihrer Agenda. Den Ausschlag für eine konzertierte Aktion in den Besatzungszonen der USA und Großbritanniens – die Franzosen hatten alle Streiks und Demonstrationen in ihrer Zone strengstens untersagt – gab letztlich die unbeugsame Haltung Erhards selbst, der ankündigte, dem »hysterischen Gekeife der Kollektivisten« in keinem Punkt nachgeben zu wollen. Dies konnten die Gewerkschaften nicht unbeantwortet lassen, ohne einen Reputationsverlust zu riskieren. Zudem hatten die schweren Ausschreitungen Ende Oktober am Rande einer gewerkschaftlichen Demonstration in Stuttgart bewiesen, dass Teile der Basis eine konfrontativere Haltung vom bis dahin relativ passiven Gewerkschaftsrat erwarteten.

Dieser rief für den 12. November, einen Tag nachdem sich die unternehmerfreundliche Politik auf der Sitzung des Wirtschaftsrates endgültig durchgesetzt hatte, zu einem eintägigen allgemeinen »Demonstrationsstreik« auf. Dieser wurde jedoch gemäß amerikanischer und britischer Auflagen durch eine Arbeitsruhe ohne jegliche Demonstration oder andere Kundgebung abgehalten. Rund neun von 11,7 Millionen Beschäftigten der Bizone beteiligten sich – quantitativ der mit Abstand größte Streik, den Deutschland bis heute seit den Aktionen gegen den Kapp-Putsch 1920 erlebt hat. Neben Forderungen nach Verbesserungen der sozialen Situation der Beschäftigten ging es um die »Demokratisierung der Wirtschaft« und die »Überführung der Grundstoffindustrien und Kreditinstitute in eine Gemeinwirtschaft«, um die Restauration zu bremsen.

Die politische Konstellation im Parlamentarischen Rat, die Konzeption der Westalliierten im beginnenden Kalten Krieg und die defensive Ankündigung der Gewerkschaften, sich dem politischen Willen unterzuordnen und die Aktionen auf einen Tag zu begrenzen, ließen Erhard und die Seinen letztlich als Sieger dastehen. So blieb der einzige deutsche Nachkriegsgeneralstreik ein eher symbolischer Widerstandsakt, der schnell in Vergessenheit geriet. So schrieb der einzige Chronist des Streiks Gerhard Beier 1975: »Die einen haben es vergessen, weil es kein strahlender Sieg war, die anderen mochten es nicht in Erinnerung behalten, weil es jenes Unrecht deutlich macht, das am Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs und der gesellschaftlichen Restauration stand.«

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