Nicht zum ersten Mal Tatort »Little Odessa«

Millionenbetrug an Fonds für Holocaust-Überlebende war seit Jahresbeginn bekannt

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 3 Min.
Für JCC-Chef Berman ist der ganze Vorgang »unfassbar«, ein »Anschlag auf das menschliche Ehrgefühl«. Wie viel oder wenig der Vorstandsvorsitzende der Jewish Claims Conference tatsächlich von den kriminellen Machenschaften einiger seiner Mitarbeiter wusste, ermitteln das FBI und die New Yorker Staatsanwaltschaft. Die deutschen Partner des JCC sehen sich frei von Schuld.

Die vom New Yorker Staatsanwalt Preet Bharara vorgelegte Anklage hat es in sich: Von erfundenen Opfergeschichten ist da die Rede, von gefälschten Dokumenten und einem Komplott, sich an erschlichenen Entschädigungszahlungen zu bereichern. Mehr als 42 Millionen Dollar hat eine russisch-jüdische Gruppe in New York ergaunert. Sie fälschte Lebensläufe, »rekrutierte« angebliche Holocaust-Opfer, die keine waren, um an die deutschen Entschädigungszahlungen zu kommen.

Über den Betrug innerhalb der JCC äußern sich jüdische Vertreter auf beiden Seiten des Atlantiks mit Entsetzen. Und nicht nur sie. »Wenn es jemals etwas gab, von dem man gehofft und erwartet hätte, es sei immun gegen niedrige Geldgier und Betrug, dann war das die Claims Conference, die jeden Tag Tausende von armen und alten Opfern der Nazi-Verfolgung unterstützt«, sagte der Bundes-Staatsanwalt in Manhattan, Preet Bharara (Foto: AFP/Tama).

Bereits beim Fall des Großbetrügers Bernard Madoff und seinem Schneeballsystem für Anleger waren viele jüdische Familien die Betroffenen. Anders als bei diesen hat es beim Betrug in der JCC jedoch vor allem Arme und Alte getroffen. Der Fonds, der 1951 mit BRD-Geldern ins Leben gerufen worden war, kümmerte sich vor allem um arme Überlebende des Holocaust im New Yorker Stadtteil Brighton Beach, auch Little Russia oder Little Odessa genannt, weil er überwiegend von Zuwanderern aus slawischen Staaten bewohnt wird.

Der Vorsitzende des Fonds, Julius Berman, zeigt sich besonders empört, dass sechs der 17 Beschuldigten Angestellte der JCC sind, die Zahlungen an eine betrügerische Organisation genehmigten, die wiederum Zahlungen an nicht Berechtigte machte und Gelder für die Betrüger abzweigte. Insgesamt war das zwischen 2000 und 2009 offenbar 5500 Mal der Fall.

Die Täter verfügten über das notwendige Wissen, um die für die Zahlungen notwendigen Papiere zu fälschen. Es wurden ganze Lebensläufe erfunden, mit detaillierten Beschreibungen von angeblicher Verfolgung durch die Nazis, von Flucht aus Kiew, über den Dnjepr, Verstecken in Bauernhöfen und so weiter. Auch wurden Empfänger »rekrutiert«, die gar keine Juden waren oder, die erst nach dem Ende des Weltkrieges geboren wurden.

Die Nachbarin einer der Festgenommenen, Tatjana Grinman, erzählt, wie sie angesprochen worden war, um Forderungen bei der JCC geltend zu machen. »Sie gab mir die Papiere, die ich ausfüllen sollte, weil meine Mutter und mein Vater im Ghetto gelebt hatten. Sie sagte, dass ich 1000 Dollar bekommen würde und sie 3000. Heute weiß ich, dass das Betrug war.«

Der Vize-Geschäftsführer des Fonds, Gregory Schneider, berichtet, dass Angestellte den Betrug 2009 bemerkten, weil Ansprüche für Personen erhoben wurden, die nach dem Krieg geboren wurden. Darauf habe man sofort das FBI informiert, das Ermittlungen aufgenommen habe. Bei den Fälschungen seien die Täter teilweise so dreist gewesen, dass auf verschiedenen Anträgen dasselbe Foto verwendet wurde.

Von deutscher Seite wird der politische Schaden zwar durchaus gesehen und bedauert. Allerdings sehen sich Gremien, die in der Vergangenheit mit Entschädigungszahlungen befasst waren und dabei auch mit der JCC zu tun hatten, frei von Schuld. Für die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« (EVZ) erklärte deren Sprecherin Franka Kühn, dass die Zahlungen der EVZ an ehemalige Zwangsarbeiter bereits 2007 abgeschlossen worden seien. Über Betrugsfälle, schon gar nicht in der nun bekannt gewordenen Dimension bei der JCC, gebe es keine Erkenntnisse.

Partner auf deutscher Seite bei dem jetzt in Rede stehenden Skandal sei allein das Bundesfinanzministerium. Über »Unregelmäßigkeiten im New Yorker Büro der JCC und die Aufnahme staatsanwaltlicher und polizeilicher Ermittlungen«, so Sprecherin Ingeburg Grüning gegenüber Neues Deutschland, sei das Ministerium bereits Anfang des Jahres und seitdem fortlaufend über die Ermittlungen unterrichtet worden.

Die Auszahlung von Beihilfen der Bundesregierung für jüdische Holocaustüberlebende durch das New Yorker Büro der JCC sei unmittelbar nach Bekanntwerden von »Unregelmäßigkeiten« in Verdachtsfällen gestoppt worden.

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