Abgabenbefreiung in »unbekannter Höhe«
Kirchenfinanzierung entzieht sich zuverlässiger Bewertung und damit bisher jeder Korrektur
Soeben hat der Koordinierungsrat säkularer Organisationen (KORSO) gefordert, die jährlichen Staatsleistungen in ihrer bestehenden Form einzustellen. Dabei beruft er sich auch auf das Grundgesetz, das in Artikel 140 den Auftrag enthält, die Staatsleistungen durch Landesgesetzgebung abzulösen.
Auf etwa 19 Milliarden Euro summiert der Kirchenfinanzexperte Carsten Frerk den Gegenwert der staatlichen Leistungen an die evangelische und katholische Kirche in Deutschland. Und zwar jährlich. Hinzu kommen, wie Frerk in seiner jüngsten Studie zu den Kirchenfinanzen zeigt, 45 Milliarden für die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie, davon allein ca. 18 Milliarden für Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen. Der Staat zahlt nicht nur für das Kirchenpersonal, bezuschusst den Religionsunterricht und die Theologenausbildung, auch Kindergärten und Privatschulen, sondern übernimmt auch Bau- und Instandsetzungskosten für Kirchengebäude. Doch dabei bleibt es nicht. Wegen der Steuerprivilegien der Kirchen verzichtet der Staat auf mannigfaltige Einnahmen, beispielsweise beim kirchlichen Grundbesitz.
»... sahnen nicht zu Unrecht ab«
Auch die Mitglieder der Kirchen haben eine steuerliche Sonderstellung. Sie können ihre Kirchensteuer von der Einkommenssteuer absetzen und das kostet ca. drei Milliarden Euro pro Jahr. Außerdem verfügen die Kirchen über ein milliardenschweres Kapitalvermögen, das auch 16 eigene Banken einschließt. Die Staatsfinanzierung war auch ein Thema der Herbsttagung der katholischen Bischofskonferenz (DKB) in Fulda. Dort verteidigte DKB-Sekretär Hans Langendörfer die bestehende Praxis mit den Worten: Die Kirchen würden »deswegen kofinanziert, weil sie etwas Gutes tun… Sie sahnen nicht zu Unrecht etwas ab.« Allerdings wurde auch darüber gesprochen, ob sich die Staatsleistungen nicht ablösen ließen. Im Prinzip schon, lautete die sinngemäße Antwort. Für »einen zweistelligen Milliardenbetrag« ließe sich das wohl regeln. Der Betrag müsse so hoch sein, damit sich eine den Staatsleistungen entsprechende Verzinsung ergibt. Sigrid Grabmeier von der katholischen Reformbewegung »Wir sind Kirche« verlangt von den Bischöfen dagegen mehr Bescheidenheit. »Die Staatsleistungen seien an vielen Stellen mittlerweile abgegolten und somit überflüssig.« Er bezog sich dabei auf die rund 200 Jahre zurückliegende Regelung, die die heutigen Zahlungen begründet. Infolge einer weitreichenden Gebiets- und Besitzumverteilung zugunsten der damaligen weltlichen Mächte waren den Kirchen umfangreiche Ausgleichszahlungen vertraglich zugesichert worden.
Der Bundestagsabgeordnete Ulrich Maurer (LINKE) hat kürzlich den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages nach der juristischen Begründung für steuerliche und finanzielle Privilegierung der Kirchen gefragt. »Wir haben eine sehr profunde, aber zugleich ernüchternde Antwort erhalten«, lobt Maurer die Arbeit des wissenschaftlichen Dienstes. Demnach hält die herrschende juristische Meinung das Privilegienbündel der Kirchen für »verfassungsresistent«. »Heißt das etwa, dass die Besitzstände der Kirchen über dem Gesetz stehen?«, fragt Mauer. Es gehe ihm nicht darum, die Leistungen einzustellen, etwa für die sozialen Dienste der Kirchen. »Aber ist es gerecht, Milliardensubventionen für Priestergehälter, Pensionen, Theologie und Gottesdienst zu zahlen, wenn uns das Geld für Schulen und Kitas fehlt?«
Monetärer Wert kann nicht ermittelt werden
Das Problem ähnelt einem Dickicht, wie die Untersuchung von Frerk zeigt. Über zwei Jahrhunderte hinweg hat sich ein verschlungenes System entwickelt, in dem Tausende von kirchlichen Körperschaften von Staatsgeldern profitieren oder sie direkt empfangen. Eine Evaluierung und Kontrolle findet kaum statt. Dem Staat fehlt überdies jede Gesamtübersicht seiner Zahlungen an die Kirchen. »Der monetäre Wert der Steuer- und Abgabenbefreiungen konnte bisher nicht auch nur annäherungsweise ermittelt werden«, heißt es in der Antwort an Maurer.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.