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- 47. Kalenderwoche 2010
Im Dienste der Stauffenbergpartei
Das Tagebuch des Jeremy-Maria zu Hohenlohen-Puntiz – 22. Folge
»Pochierter Wisentkalbsrücken, Tubinambur-Maronenmus an Löwenzahn mit Murmeltierspeck und Vogelbeeren.« – »Für alle Teilnehmer?« unterbricht Jauch, dem ich in geselliger Runde mit Roland das Menü für den Parteitag nächste Woche diktiere. »Selbstverständlich«, erwidere ich.
Nun, da das medizinische Gutachten eingetroffen ist und fest steht, dass ich mir den Magen am Billigfraß der Union verdorben hatte, will ich nichts riskieren. Außerdem, wie stehen wir da, wenn wir das Freiburger Gelage der Grünen nicht toppen? Schließlich darf beim Königsmacher nicht besser geschlemmt werden als beim Herrscher.
»Und wer soll das bezahlen?« Jauch rauft sich die Haare und lamentiert über die leere Parteikasse. Die Pharmalobby, die Hoteliers, die Atomindustrie, alle haben sie sich an der Bundesregierung arm gespendet. Es ist nichts mehr zu holen.
»Eine halbe Million hat die Steffi deinem Sender abgeluchst«, erinnert sich Roland vorwurfsvoll. »Das hat sie sich mit ihrem ausgezeichneten Allgemeinwissen und ihrer sympathischen Art redlich verdient«, erwidert Jauch.
Lange Gesichter. Rauschend sollte der Parteitag werden, ein Festival der Sinne, das meine Schäfchen und Vasallen betört, auf dass sie sich mir in hundertprozentiger Loyalität untergeben und das Throngerüttele endlich aufhört. Cem will kommen, Vettel, Lena, Schäuble, Gottschalk, die Ochsenknechtknaben, Joop... Auch der Zeitpunkt für den Parteitag hätte nicht günstiger gewählt werden können. Der jüngst in der Presse veröffentliche Dankes- und Abschiedsbrief der Interimskanzlerin etwa, fröhlich rauschendes Wasser auf die Mühlen der Stauffenbergpartei. Ohne Budget aber droht die Veranstaltung zum Lumpenball zu werden. Kalle, über dessen Familie es mittlerweile sogar TV-Dokumentationen gibt, wird mich und mein Blut verhöhnen. Woher nehmen, wenn nicht...
Da räuspert sich Roland und wirft unbemerkt vom kopfrechnenden Jauch einen vieldeutigen Blick auf den Aktenkoffer zwischen seinen Knien. Schwarzgeld, wie ich zunächst vermute. Aber ich halte mich bedeckt.
Wir gehen die Programmpunkte durch: Prügelstrafe. Pro und kontra. – SPD Verbot. Chancen und Gefahren für die ständische Demokratie. – Re-Kolonialisierung. Lösungen für die Schuldenproblematik der Dritten Welt. – Die Guten ins Töpfchen. Wie uns die neuesten Erkenntnisse aus der Genforschung in der Zuwanderungspolitk helfen können. – Junkertum 2.0. Mit traditionellen Methoden zur ökologischen Landwirtschaft von Morgen. – Die Starken stärken. Warum Leistungsträger keine Steuern zahlen dürfen. – Die Tea-Party-Bewegung. The american way of Stauffenbergpartei?
Zumindest die Vielfalt unserer Ansprachen lässt keine Wünsche offen. Aber ohne Nervus Rerum nützt auch das nichts. Mir zittern die Knie, der Blick verschwimmt. Das dumpfe Gefühl der letzten Wochen verfestigt sich, wir steuern auf eine Katastrophe zu.
Als ich die Runde schließlich auflöse und Jauch fort ist, zieht Roland den geheimnisvollen Koffer hervor. Klick, klick, öffnet sich das Gepäckstück, darin: Drähte, Zünder, Batterien und Dynamitstangen. »Eine Bombe!«, rufe ich entsetzt und werde sogleich von Roland beruhigt: »Ein Realtestkoffer«.
»Für den Reichstag?«, frage ich. Roland lacht: »Lieber für die Sparkasse«.
Der satirische Tagebuchroman des konservativen Verschwörers erscheint jeweils in der Mittwochausgabe des ND. Die nächste Folge erwarten wir am 1. Dezember 2010.
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