Aus einer Übung wird rasch der Ernstfall

Nach dem schwersten militärischen Zusammenstoß zwischen Nord- und Südkorea seit 50 Jahren / Feuergefecht lässt die Lage auf der Halbinsel eskalieren

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 5 Min.
Südkoreas Präsident Lee Myung Bak hat angekündigt, die Präsenz seiner Truppen im Gelben Meer zu verstärken. Das Echo aus dem Norden ließ nicht auf sich warten: »Ohne zu zögern« werde man eine zweite oder sogar dritte Runde von Schlägen ausführen, »sollten die Kriegstreiber in Südkorea erneut rücksichtslos provozieren«, zitierte die Nachrichtenagentur KCNA Militärkreise in Pjöngjang.

Macht Nordkorea wahr, was immer wieder in wütenden Mitteilungen angekündigt wurde: erbarmungslose Vergeltung? Am Wochenende wollen Südkorea und die USA demonstrativ ein viertägiges Seekriegsmanöver beginnen, der atomgetriebene US-amerikanische Flugzeugträger »George Washington« bewegt sich in Richtung der Küste Koreas. Vier Tage, nachdem nordkoreanische Artilleriegranaten auf der Insel Yonpyong nach südkoreanischen Angaben vier Personen getötet haben, scheint sich die Lage weiter zuzuspitzen.

Aus nordkoreanischer Sicht gingen dem Granatenhagel Schüsse von südkoreanischen Artilleriestellungen auf der Insel in nordkoreanisches Seegebiet des Gelben Meeres (in Korea »Westmeer« genannt) voraus. Ein hoher KDVR-Militär habe erst über den heißen Draht mit der »feindlichen Seite« telefoniert, dann sei unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht zurückgeschossen worden. »Sollte die südkoreanische Marionettengruppe es wagen, auch nur 0,0001 Millimeter in Nordkoreas Hoheitsgewässer vorzudringen, wird die revolutionäre Streitmacht nicht zögern, weiter gnadenlose militärische Gegenmaßnahmen zu ergreifen«, hieß es in einem Kommuniqué des Oberkommandos der Koreanischen Volksarmee.

Bis 2007 schien sich die koreanische Halbinsel, auf der seit dem Ende des Koreakrieges 1953 nur ein Waffenstillstandsabkommen gilt, in Richtung eines dauerhaften Friedens zu bewegen. Die KDVR schien als Gegenleistung für wirtschaftliche Hilfe ihre atomare Aufrüstung beenden zu wollen, die Staatschefs von Nord und Süd trafen sich 2000 und 2007 zu demonstrativem Schulterschluss. Es war die Zeit der »Sonnenscheinpolitik«, für die Südkoreas damaliger Präsident Kim Dae Jung mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Seit der Abkehr des derzeitigen Präsidenten Lee Myung Bak von dieser Linie verschärften sich die Spannungen jedoch wieder. Und spätestens seit dem Untergang der südkoreanischen Fregatte »Cheonan« im Frühjahr, dem 46 Besatzungsmitglieder zum Opfer fielen, stehen die Zeichen auf Konfrontation. Beide Seiten beschuldigten einander, hinter der Explosion auf dem Schiff zu stecken.

Die Demokratische Volksrepublik steht seit nunmehr zwei Jahrzehnten mit dem Rücken zur Wand, ohne wirkliche Freunde und Verbündete, am Rande des wirtschaftlichen Bankrotts, unter dem Druck der vom Westen inspirierten UNO-Sanktionen, als »Schurkenstaat« diskreditiert, der von einem »irren Diktator« beherrscht wird. Die Führung in Pjöngjang fühlt sich in die Enge getrieben, reagiert harsch und trotzig: Wenn die Welt uns nicht mag, dann mögen wir die Welt nicht.

Was will die Führung in Pjöngjang? Sie will, dass ihr Staat von der Welt akzeptiert wird, dass die USA einen Friedensvertrag mit der KDVR schließt, der die Anerkennung ihrer Machtstrukturen garantiert und ihr die Angst vor einem vom Süden geförderten Umsturz nimmt. Sie will ein Ende der UNO-Sanktionen und schließlich materielle Unterstützung bei der Überwindung der dramatischen wirtschaftlichen Lage. Nach eigener Überzeugung kann sie diese Ziele nur als starke Militär- und Atommacht erreichen. Denn nur eine solche Macht werde von den USA als Partner respektiert.

Ernsthaft sind die USA und ihre Verbündeten Japan und Südkorea niemals zu Werke gegangen, um den Brandherd auf Dauer zu löschen. Es funktioniert nicht, mit den Nordkoreanern verhandeln zu wollen, ohne sie zu akzeptieren. Alle Sanktionen haben sich als wirkungslos erwiesen, durch Druck ist dem hochgerüsteten Staat nicht beizukommen.

Selbst die Volksrepublik China ist der KDVR kein wirklicher Freund mehr, wenngleich die Freundschaft bei den jüngsten Besuchen des Führers Kim Jong Il in Peking immer wieder beschworen wurde. China betreibt eine pragmatische Korea-Politik. Allerdings kann Peking kein Interesse daran haben, dass der Staat im Norden der Halbinsel zusammenbricht: In einem solchen Fall stünden USA-Truppen faktisch an der Grenze Chinas – und Russlands. Also wird Peking bemüht sein, Nordkorea als Puffer zur US-amerikanischen Militärmacht zu erhalten. Das weiß man auch in Pjöngjang, woraus folgt, dass man dem großen Bruder längst nicht mehr aufs Wort gehorcht.

Entschärfen lässt sich der Konflikt nur, wenn ernsthaft und auf gleicher Augenhöhe mit Nordkorea verhandelt wird. Das kostet nicht viel, bringt aber ungleich mehr Sicherheit als das ständige Balancieren am Rande des Abgrunds.


Hintergrund - Umstrittene Seegrenze

Nach dem Korea-Krieg wurde 1953 die Waffenstillstandslinie quer durch das Land zur massiv gesicherten Grenze zwischen Nord und Süd. An der Westküste beider Staaten im Gelben Meer schließt sich am 38. Breitengrad eine rund 200 Kilometer lange Seegrenze an. US-General Mark W. Clark, seinerzeit Kommandeur der unter UN-Flagge operierenden Streitkräfte, legte diese »Northern Limit Line« (NLL) 1953, nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommens, einseitig fest. Nordkorea hat die vier Kilometer breite Grenzzone nie anerkannt.

Pjöngjang kritisiert, dass durch die NLL einige Inseln vor seiner Küste an Südkorea fallen, und legte 1999 eine weiter südlich verlaufende Seegrenze fest. Die umstrittenen Inseln sind bis zu 150 Kilometer vom südkoreanischen Festland, in einem Fall aber nur zwölf Kilometer von Nordkorea entfernt. Yonpyong ist mit sieben Quadratkilometern die drittgrößte dieser Inseln.

Beide Seiten nutzten das Seegebiet wiederholt für Machtdemonstrationen. Mehrfach gab es dort militärische Angriffe und Seegefechte. 1999 kamen bei einem Gefecht zwischen nord- und südkoreanischen Kriegsschiffen nahe Yonpyong wahrscheinlich rund 20 Nordkoreaner ums Leben. 2002 überfuhren KDVR-Kriegsschiffe bei Yonpyong die NLL und wurden von südkoreanischen Booten zurückgedrängt. Dabei wurden fünf Südkoreaner und vermutlich 30 Soldaten aus dem Norden getötet. Vor der Insel Dächong starben im November 2009 bis zu zehn Nordkoreaner, als ihr Kanonenboot von südkoreanischen Kriegsschiffen beschossen wurde.

Im März 2010 sank die südkoreanische Fregatte »Cheonan« nach einer Explosion. 46 Seeleute starben. Südkorea beschuldigt den Norden, das Schiff versenkt zu haben, was Pjöngjang bestreitet. Dem Artilleriebeschuss der Insel Yongpyong gingen mehrere Zwischenfälle voraus. Schon im Januar schlugen in der Nähe Artilleriegeschosse ein, im August folgten weitere Granaten aus dem Norden.
dpa/ND

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