Studenten steigen den Reformern aufs Dach
Italiens akademischer Nachwuchs stürmt die Unis von Mailand, Florenz und anderen Städten
Italiens Studenten gehen auf die Straßen, um landesweit gegen die ungeliebte Universitätsreform der Regierung zu protestieren.
Studentenproteste erschüttern Italiens Städte. Sowohl in der Hauptstadt Rom als auch an anderen Universitätsstandorten haben wissenschaftliche Assistenten, die »ricercatori«, und Studenten die Dächer der Bildungstempel besetzt. Seit Dienstag harren bereits die römischen Ricercatori auf der Architektur-Fakultät der Universität Sapienza an der Piazza Borghese aus. Am Donnerstag erstürmten die Studenten Mailands und Florenz ihre Universitäten.
In Pisa besetzten Studenten und Ricercatori den Schiefen Turm. In Palermo blockierten die Demonstranten Hafen und Eisenbahnstation. Protestzüge füllten auch die Straßen von Bari (Apulien) und Sassari (Sardinien). Auch der Bahnhof von Turin wurde von demonstrierenden Studenten besetzt. In Rom formierten sich mehrere Demonstrationszüge zu einem Sternmarsch vor das Parlament.
Hier in der Abgeordnetenkammer wird seit Mittwochvormittag die nach Bildungsministerin Mariastella Gelmini benannte Reform diskutiert. Die Regierung will sie noch vor einem möglichen Rücktritt Mitte Dezember durchziehen. Ministerpräsident Silvio Berlusconi will beweisen, dass er noch Mehrheiten hinter sich zu bringen versteht. Zwei Abstimmungsniederlagen zu außenpolitischen Themen musste die Koalition aus Popolo della Liberta und Lega Nord in den vergangenen Tagen schon hinnehmen.
Am Donnerstag folgte die nächste Niederlage: Die in Neugründung befindliche Partei Futuro e Liberta um Kammerpräsident Gianfranco Fini brachte einen Änderungsantrag zur Gelmini-Reform ein. Beifall von der Opposition, Ablehnung von der Regierungsbank. Doch in der Abstimmung setzte sich der Antrag durch.
Italien bedarf einer Bildungsreform. Die Universitätsstrukturen sind uneffektiv, zu groß ist der Verwaltungsaufwand. Die Ricercatori tragen die Hauptlast der Lehre, sollten jedoch eher in der Forschung engagiert sein. Die Reform sieht nun begrenzte Zeitverträge für die wissenschaftlichen Assistenten vor – ähnlich denen, wie sie an den meisten Universitäten Europas und der USA eingeführt sind – und dann mangelt es an weiterführenden Perspektiven. Aus diesen Gründen fordern die Kritiker sowohl aus dem bürgerlichen Lager als auch aus der Mitte-Links-Opposition dringend eine Überarbeitung.
Außerdem halten es die Gegner des vorliegenden Gesetzentwurfs für unverantwortlich, die Mittel für die Bildung drastisch zu kürzen, wie es die Regierung vorsieht. Die staatlichen Ausgaben für Universitäten sollen im kommenden Jahr um mehr als ein Viertel gekürzt werden. Auch in Deutschland und Frankreich herrsche die Krise, doch sehe man dort die Investition in die Bildung als eine in die Zukunft an.
Der Chef der Demokratischen Partei, Pierluigi Bersani, und der apulische Regierungschef Nichi Vendola vom Mitte-Links-Bündnis SEL bekundeten ihre Solidarität mit den Protestierenden. Beide besuchten die Demonstranten auf dem Dach der Sapienza in Rom. Ministerin Gelmini daraufhin: Die Studentenproteste werden von der Linken instrumentalisiert. Billige Polemik, kommt es sofort retour.
Die Endabstimmung über die Bildungsreform ist für kommenden Dienstag vorgesehen, dann muss das Gesetz noch dem Senat vorgelegt werden.
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