Sparbeschluss im Sperrbezirk
Bundestag segnete hohe Neuverschuldung und Sozialkürzungen ab / Kritiker wurden von Zäunen und hunderten Polizisten ferngehalten
Im Bundestag wurde am Freitagmorgen noch über den letzten Einzelhaushalt beraten, da hatte die Schlussdebatte schon begonnen. Am Brandenburger Tor stand der Fraktionschef der LINKEN auf einem Lastwagen und rechnete mit dem Sparhaushalt der schwarz-gelben Bundesregierung ab, deren Kürzungen vor allem Erwerbslose, Rentner und Alleinerziehende treffen. Gregor Gysi wechselte an diesem Tag wie zahlreiche andere Abgeordnete seiner Partei zwischen Demo und Plenarsaal hin und her.
Einige Tausend Menschen hatten sich aus Protest gegen die Politik der Bundesregierung in Berlin versammelt. »Es geht uns vor allem darum, ein deutliches Signal zu setzen, dass es Widerstand gegen diese Sparpolitik gibt«, sagte Florian Wilde von dem Bündnis »Wir zahlen nicht für Eure Krise«. Auch Schüler beteiligten sich. Sie fürchten, dass die geplanten Einsparungen im Hartz-IV-Bereich letztlich zulasten der Kinder gehen. Das Sparpaket sieht unter anderem Kürzungen beim Elterngeld und dem Heizkostenzuschuss vor. »Es darf nicht sein, dass sich eine Familie zwischen einer warmen Wohnung und Nachhilfe für das Kind entscheiden muss«, sagte Florian Bensdorf von der Schüler-Initiative »Bildungsblockaden einreißen!«.
Kurz vor halb 12 Uhr wurde auch im Bundestag die Schlussdebatte zum Haushalt 2011 aufgerufen. Um diese Zeit setzten sich die Demonstranten in Bewegung. Ihr Ruf »Sparpaket stoppen« war bis zu den Türen des Bundestags zu hören.
Eigentlich wollten sie nicht nur in Ruf-, sondern in Sichtweite den Abgeordneten die »rote Karte« zeigen. Doch Absperrgitter und hunderte Polizisten verbannten die Kritiker in ein Niemandsland zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule. Für Demoveranstalter Michael Prütz ist das ein deutliches Zeichen: Die Absperrungen sind ein »Symbol für die Isolierung der Regierung von den Interessen der Bevölkerung«. Die nach der Terrorwarnung aufgestellten Zäune waren vor den Protesten noch einmal verstärkt worden. Auch der Pariser Platz war dicht, die Kundgebung nur auf Umwegen zu erreichen: Russlands Regierungschef Wladimir Putin war im Hotel Adlon mit der deutschen Wirtschaft zu Gange.
Weiträumig abgeriegelt, stand dem reibungslosen Geschäftsablauf im Bundestag – Begründung für die Bannmeile – nichts mehr im Wege: Um 13.42 Uhr verabschiedeten Union und FDP den 305,8 Milliarden-Haushalt 2011. Der Etat enthält Teile des umstrittenen Sparpakets. Die anderen Kürzungen und neuen Abgaben dieses Sparpakets waren bereits Ende Oktober vom Bundestag beschlossen und am Freitag vom Bundesrat abgesegnet worden. Das gesamte Sparpaket soll den Bundesetat bis 2014 um insgesamt 80 Milliarden Euro entlasten. Um den Haushalt zu finanzieren, muss Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) voraussichtlich 48,4 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Das wäre die zweithöchste Neuverschuldung in der bundesdeutschen Geschichte.
Die Demonstranten zogen unterdessen, dicht begleitet von Polizeireihen, Richtung Siegessäule. Einige versuchten immer wieder, über Zäune und durch Polizeiketten hindurch in den Tiergarten und von dort zum Ort des Geschehens zu gelangen, wurden aber von Beamten aufgehalten. Nach dem Ende der eigentlichen Veranstaltung zogen mehrere hundert Demonstranten zur nahen Bundesgeschäftsstelle der CDU. Dort setzten sie ihre Proteste fort. Wegen Landfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Vermummungsverbot wurden zwei von ihnen festgenommen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.