Klarer Klang, fern im Kalten
Konzerthaus Berlin: Zender, Berg, Brahms
Eine Art geschichtliche Staffelung führte das Konzerthausorchester unter Lothar Zagrosek seinem nicht gar so zahlreich erschienenen Publikum vor. 2010, 1935, 1877 entstanden die aufgeführten Werke. Keine läppische Historisierung, wie es im Betrieb üblicherweise geschieht: alle Stücke alt, neue Stücke abwesend. Taufrisch das Werk von Hans Zender, mit dem der Reigen eröffnete. Es folgte das allseits bewährte wie berühmte Violinkonzert von Alban Berg »Dem Andenken eines Engels«, geschrieben 1935, im Todesjahr des Komponisten. Schließlich die unverlierbar dem Repertoire eingeschriebene 2. Sinfonie von Johannes Brahms, die 1877 uraufgeführt wurde.
Alle drei Werke sind freilich dem Komplex zentraleuropäischer Tradition unlöslich verhaftet, gleichwohl sie beträchtlich differieren. Aber die Trennschärfen werden bekanntlich mit zunehmendem geschichtlichen Abstand geringer, bedingt wohl vor allem durch den jeweiligen Stand heutigen Komponierens in den verschiedensten Szenen. Ist der Stand in seiner Vielheit kläglich, so hört man heute Beethovens »Eroica«, ernste Wiedergabe vorausgesetzt, wie ein modernes, hochklassiges Werk. Das Bedürfnis drängt vor, sich von neuem zu besinnen. Hohes Gut das enorme Können der großen Meister von ehedem.
Hans Zenders »Issei no kyö« (Gesang vom einen Ton) für Sopran und Orchester, erst vor wenigen Wochen erlebte es seine Uraufführung in Köln, vertraut der Sopranstimme vier Verse des japanischen Zen-Meisters Ikkyú Söjun (1394–1481) an. Die sind in chinesischer, französischer und englischer Übertragung zu singen, in jeweils wechselnden Intervallspannen und Arten der Artikulation. Julie Moffat gelingt die Wiedergabe vorzüglich. Das besondere: Der Gestus ihres Singens wechselt von Sprache zu Sprache, von Teil zu Teil, ebenso die zumeist ausgeklügelt ziselierten Orchesterbegleitmodelle. Orchesterfarben gibt es in Hülle und Fülle. Der französische Teil delektiert sich fast penetrant an den Impressionismen eines Debussy.
Der Text – frei ausgelegt nach der Übersetzung im Programmheft – handelt von Sehen und Hören, von einer Welt ohne Ende, davon, dass ein klarer Klang gut sei, klänge er auch fern in der Kälte. Dass der weise Mann weiter belebe die Kunst, in Übereinklang mit dem Wind über dem Jade-Geländer. Kunst ist hier synonym mit Jade-Geländer. Der Ausdeutung dieser Schönheiten sind kompositorisch kaum Grenzen gesetzt. Eine Piccoloflöte musiziert auf der Empore, aber sie ist klanglich nicht genügend abgesetzt, so jedenfalls scheint es, sitzt der Erlebende in Rang-Mitte.
Dieses Soloinstrument kommuniziert hauptsächlich mit der Singstimme und ihren Geschwisterflöten. Dem Klavier kommt eine fast obligate Rolle zu, es begleitet und setzt härtere Akzente. Schlagwerk und Blechbläser drängen vor im englischen Schlussteil. Sprechgesang dominiert hier. Insgesamt weich, hochdifferenziert, ausdrucksvoll, abgeklärt die Gangart dieses Kompendiums aus lose gefügten sensiblen Klangereignissen. Ein Luxusprodukt, wie es im Buche steht, eins, das die Sinne strahlenförmig zu sensibilisieren weiß. Was heutzutage nicht wenig ist. Die Ohren im Saal schienen das nicht recht zu erlauben. Lau der Beifall.
Ernst Kovacic gab das Bergsche Violinkonzert so energisch wie zärtlich wieder. Markant das Gewitter der mehrstimmigen Geigen-Kadenz, das in die Orchesterlücken schießt. Weder der differenzierte Abtausch noch die engen Verwebungen zwischen Solo und Tutti ließen Wünsche offen. Der US-amerikanische Geiger Louis Krasner hatte einst den Auftrag erteilt. Berg stellte das Konzert in wenigen Wochen fertig. »Dem Andenken eines Engels« – um die Storys, die sich an das Werk heften, kreisen immer noch Spekulationen – meint die Trauer um den Tod der jungen Gropius-Tochter von Alma Mahler-Gropius-Werfel. Freilich, nicht allein Gesten der Trauer, auch Kärntner-Weisen führen durch die zwölftönige Faktur. Mahlers Einfluss drückt sich ab. Und J. S. Bachs Schlusschoral »Ich habe genug« aus der Kantate »O Ewigkeit, du Donnerwort«, eingewoben mit der übermäßigen Quarte am Anfang, gibt dem Finale das nötige Zwölftonmaterial, damit es in nicht enden wollender Innigkeit schließen kann.
Bei Brahms' 2. Sinfonie war vornehmlich zu bewundern das Finale des 1. Satzes. Ein Schluss ohne jeglichen Triumph, ohne den Ohrenaberwitz der ewig repetierten Schlusskadenz. Brahms' Schluss klingt aufs Äußerste zurückgenommen aus. Ohne den geringsten Makel in der Wiedergabe. Fabelhaft.
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