Aufschwung ohne die Verbraucher
Creditreform: Immer mehr Privatinsolvenzen, Firmenpleiten sinken aber
Schneller als erwartet hat sich die Konjunkturerholung in der Zahl der Firmenpleiten niedergeschlagen: Sie sinkt. Bei den Verbrauchern kommt der Aufschwung hingegen noch nicht an. So viele Private wie nie werden 2010 den Gang zum Amtsgericht antreten müssen.
Der Aufschwung hat die Pleitewelle in der deutschen Wirtschaft gebremst. Nach dem Negativrekord im Krisenjahr 2009 wird die Zahl der Unternehmensinsolvenzen 2010 um 2,5 Prozent auf 32 100 (2009: 32 930) zurückgehen, wie die Wirtschaftsauskunftei Creditreform am Montag voraussagte. Deutlich geringer fiel die Zahl der davon betroffenen Arbeitsplätze und die Schadenssumme aus. Auch 2011 werde sich dieser Trend fortsetzen, prognostizierte Creditreform-Vorstand Helmut Rödl: »Bei stabiler Konjunkturentwicklung ist nicht auszuschließen, dass die 30 000-Marke unterschritten wird.«
Bei den Verbrauchern ist der Aufschwung hingegen noch nicht angekommen: »Die Entwicklung der Privatinsolvenzen hat sich vom Konjunkturzyklus abgekoppelt, der Ansturm zahlungsunfähiger Verbraucher auf die deutschen Amtsgerichte ist nicht abgeebbt«, betonte Rödl. Die Zahl der Privatpleiten steuert auf einen neuen Rekordwert zu. Der bisher höchste Wert lag 2007 bei 105 300 Verfahren. Die Experten erwarten im laufenden Jahr einen neuen Höchstwert von 111 800 Menschen, die hierzulande vom Verfahren der Privatinsolvenz Gebrauch machen, um sich ihrer Schulden zu entledigen – das wären 10,9 Prozent mehr als im Krisenjahr 2009.
Die Arbeitsmarktsituation wirke sich nun verzögert aus, erklärte Rödl. Gleichzeitig würden Kredite wieder leichter vergeben und die Konsumstimmung steige. »9,5 Prozent der Erwachsenen weisen damit nachhaltige Zahlungsstörungen auf. Aus diesem Potenzial droht ein weiterer Anstieg der Privatinsolvenzen.« Nach den Angaben sind immer mehr Verbraucher in Deutschland überschuldet: 6,5 Millionen Erwachsene können ihre Zahlungsverpflichtungen auf absehbare Zeit nicht erfüllen. »Diese Leute können ihren normalen Lebensunterhalt nicht mehr aufbringen.«
Auf die Zahl der Unternehmensinsolvenzen habe sich neben dem anziehenden Exportmotor auch die angesprungene Binnennachfrage positiv ausgewirkt. Zudem habe die Entspannung auf dem Kreditmarkt den Unternehmen im Aufschwung geholfen: »Wir glauben nicht, dass wir eine Bugwelle vor uns herschieben«, so Rödl. Die heilende Kraft des Aufschwungs habe die Insolvenzstatistik mit sechs Monaten Verzögerung erreicht und damit schneller als erwartet. Ursprünglich hatte Credit-reform für dieses Jahr mit 40 000 Firmenpleiten gerechnet.
Im laufenden Jahr mussten, anders als 2009, als Firmen wie Arcandor, Woolworth oder der Chiphersteller Qimonda Insolvenz angemeldet hatten, meist Kleinstbetriebe (79 Prozent) mit maximal fünf Beschäftigten den Gang zum Amtsgericht antreten. Deshalb sank die Zahl der befürchteten Jobverluste durch Insolvenz 2010 stark um 53,9 Prozent auf 240 000. Die meisten Arbeitsplätze sind 2010 durch eine Insolvenz des Automobilzulieferers Honsel AG (Meschede) bedroht: Das Unternehmen beschäftigt 3000 Mitarbeiter. Fünf der zehn größten Pleitefirmen im laufenden Jahr sind Automobilzulieferer.
Auch die Schadenssumme durch Insolvenzen ging drastisch zurück: Mit 35,4 Milliarden Euro bleibt sie um 55,1 Prozent unter dem Volumen von 2009 (78,9 Milliarden Euro). Die durchschnittliche Schadenssumme pro Insolvenz sank demnach auf 785 000 Euro nach 1,94 Millionen Euro im Vorjahr.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!