Tagen auf der Hotelinsel
In Cancún haben die Gipfelteilnehmer den Klimawandel vor der Tür
Am Montag eröffnete Mexikos Präsident Felipe Calderón die 16. Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen. In seiner Rede äußerte er die Hoffnung, dass nationale Interessen nicht eine Einigung über Maßnahmen zur Begrenzung des Kohlendioxidausstoßes und zum Stopp der Erderwärmung verhindern mögen. Eine Anspielung auf die gescheiterten Verhandlungen in Kopenhagen vor einem Jahr. Calderón rief die Gipfelteilnehmer dazu auf, eine Nachfolgeregelung zum Kyoto-Protokoll zu beschließen. »Es sind sehr komplexe Verhandlungen, aber wir haben hier die Verantwortung, was mit Milliarden Menschen in Zukunft passiert«, ermahnte er die Delegierten.
Die Erwartungen sind allerdings eher gering. Mexikanische Diplomaten hatten im Vorfeld deshalb vor allem versucht, Vertrauen in die Dialogmechanismen aufzubauen und realistische Ziele zu setzen. Die Verhandlungen sollen transparent ablaufen und auch die Länder mit einbeziehen, die in Kopenhagen außen vorblieben und sich übergangen fühlten. Das mexikanische Außenministerium hofft auf Übereinkünfte zur Wiederaufforstung und zum »Green Fund«, einem Finanz- und Technologietransfermechanismus für die Entwicklungsländer. US-Unterhändler Jonathan Pershing berichtete von einer Annäherung der Positionen der USA und Chinas, der beiden größten Klimasünder also.
Dass der Gipfel in Cancún stattfindet, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Die Stadt illustriert perfekt die Licht- und Schattenseiten unkontrollierten Wachstums und fehlender Planung: Zerstörung der Mangrovenwälder, zusammenbrechende Müllentsorgung, zu viele Hotels, erodierende Strände, Luftverschmutzung, Korallensterben. Bis in die frühen 1950er Jahre hinein war Cancún eine weitgehend unberührte Insel mit einigen wenigen Fischerdörfern. Bis sich die mexikanische Regierung 1969 mit Privatinvestoren entschloss, einen Urlaubsort zu errichten, um den Tourismus im Südosten des Landes anzukurbeln. Heute ist Cancún eine Großstadt mit 900 000 Einwohnern – und wächst unaufhörlich auch auf dem Festland. Die meisten Bewohner Cancúns sind Zuwanderer aus allen Teilen des Landes, die von den Verdienstmöglichkeiten im Tourismus angelockt wurden.
Es gibt eine Kehrseite der schönen heilen Tourismuswelt mit ihren mehrstöckigen Bettenburgen an weißen Sandstränden und türkisblauem Meer. Rund 800 Tonnen Müll werden in Cancún am Tag produziert. Während des Klimagipfels, der bis Freitag nächster Woche läuft, rechnet man mit rund 400 Tonnen zusätzlich. Überall in der Stadt stapelt sich schon jetzt der nicht eingesammelte Müll. Dem privaten Entsorger Domos wurde nicht zuletzt deshalb dieser Tage die Konzession entzogen. Der Müll stammt vor allem aus den Hotels. Er landet in der einzigen Deponie der Stadt in Villas Otoch, einem der gesichtslosen Vororte Cancúns. Der Gestank macht die Anwohner krank. Sie kämpfen seit Jahren für eine Verlegung der Deponie.
Ein weiteres Problem ist das Verschwinden der Mangrovenwälder: Beim Bau vieler Hotels wird gegen Umweltauflagen verstoßen und werden die Wälder illegal abgeholzt. Die Staatsanwaltschaft für Umweltschutz schätzt den Anteil nicht genehmigter Hotelbetten auf über 15 Prozent. Auch das Moon Palace, Versammlungsort des Klimagipfels, wurde wegen der illegalen Errichtung von Hotelbauten auf Mangroven verurteilt. Hotelabwasser wird oft direkt in die Wälder geleitet. Jedes Jahr gehen so fünf Prozent der Mangroven im Bundesstaat Quintana Roo verloren. Dabei schützen die Bäume die Küsten vor Hurrikanen, Sturmfluten und Erosion. Zudem binden die Mangroven CO2. Das ins Meer geleitete Abwasser ist auch mitverantwortlich für das massive Korallensterben vor der Küste. Im Naturschutzgebiet »Arrecife de Puerto Morelos«, direkt vor dem Tagungsort, hat sich die Anzahl der Korallen in wenigen Jahren halbiert.
Insofern ist Cancún doch kein so schlecht gewählter Tagungsort. Die Teilnehmer haben die Auswirkungen des Klimawandels quasi direkt vor der Hoteltür. Fraglich ist nur, ob sie sie zwischen Konferenzsaal und Strand auch sehen.
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