Die Linke hat noch zu wenig eigene Projekte
Heute beginnt in Paris der 3. Kongress der Partei der Europäischen Linken / Lothar Bisky: Mit gemeinsamen Positionen »schwindsüchtige Prozesse« stoppen und Europa verändern
Bisky: Etwas wehmütig bin ich schon, ich hänge an dem Projekt. Da ist es nicht nur heiter, tschüss zu sagen. Aber es ist höchste Zeit, ich kann mein Alter nicht zurückdrehen.
Sie haben drei Jahre lang die EL geführt. Wie sieht die Bilanz aus?
Wir sind gewachsen. Ich will das nicht übermäßig strapazieren und auch nicht zu viele Erfolgszahlen bringen. Aber Tatsache ist, die EL ist gewachsen, sie hat auch eine Reihe von inhaltlichen Debatten geführt, die sie weitergebracht haben. Sie hat erstmals eine Wahlplattform für die Europawahlen im vergangenen Jahr gemeinsam erarbeitet und hat zum Beispiel in der Frauenpolitik, aber auch der Verkehrspolitik oder den gewerkschaftlichen Zusammenschlüssen einiges vorgelegt. Insofern ist da schon etwas zustande gekommen. Nicht das, was man sich wünscht. Die Linke ist weit davon entfernt, die Öffentlichkeit zu erschüttern mit ihren Protesten. Aber immerhin, es hat sich etwas getan und der Wille zusammenzuarbeiten ist da.
Sie sprechen von Protesten. Aber welche konstruktiven Initiativen gibt es? Merken die Bürger, dass es Europas Linke gibt?
Die Menschen merken schon, dass wir uns zu den Schwerpunkten, die wir haben, klar positionieren. So gibt es nach wie vor nichts wichtigeres als die Friedensfrage. Die Bürger wissen, dass es uns als Anti-Kriegspartei gibt, die gegen jede militärische Lösung politischer und sozialer Probleme ist. Damit wird die Linke auch wahrgenommen.
Das zweite ist das soziale Thema. Wir artikulieren uns deutlich für soziale Mindeststandards in Europa. Wir wollen mehr Beschäftigung und dass jeder Mensch in Würde leben kann. Das ist ein Schwerpunkt, der an Bedeutung gewinnt, weil in der gegenwärtigen Krise Abstriche am Sozialen gemacht werden. Und die Sparpolitik in verschiedenen europäischen Staaten verdeutlicht, dass man da nicht zimperlich ist. Dagegen muss die Linke etwas machen, das tut sie auch. Es reicht aber nicht. Wir haben auf dem Gebiet noch zu wenig eigene Projekte, wie wir die soziale Lage der Menschen verbessern können. Und wir sind in einigen Punkten auch nicht entschieden genug vorangekommen.
Wie sehen Sie als Vorsitzender der Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament die Möglichkeiten, mit linken Positionen europäische Politik zu prägen?
Wir sind ja da und können hier oder da auch Einfluss nehmen. Aber unsere Wahlergebnisse sind nicht so, dass man sagen könnte, unsere Gruppierung der Linken hätte das Europäische Parlament zur Hälfte besetzt. Aber natürlich können wir unsere Stimme in die Waagschale werfen, können Anträge stellen, Vorschläge unterbreiten, wir können zu den Themen im EU-Parlament unsere Meinung entwickeln und Sorge tragen, dass es auch nach außen dringt. Das tun wir auch. Ansonsten ist die Situation im Parlament so, dass es bei den letzten Europawahlen keinen Schub nach links gegeben hat, eher einen nach rechts. Und das charakterisiert die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse.
Widerspricht Ihre Einschätzung nicht dem im Leitantrag für Paris deklarierten Ziel, für linke Ziele eine Mehrheit zu erringen?
Wenn man in die Politik geht, versucht man, Mehrheiten zu erringen oder sich ihnen zu nähern. Aber das ist ein langer Weg und ich kann nur Realismus anmahnen. Die Linke ist geschwächt in Europa. Es ist keine Situation, dass man sagen könnte, man muss sich keine Sorgen machen. In einzelnen Ländern, oder auch bei einzelnen Parteien, sehen wir schwindsüchtige Prozesse. Es bleibt viel zu tun, um die Linke stabil zu halten.
Liegt diese Schwäche nicht auch daran, dass die EL-Parteien sehr unterschiedlich sind?
Ja, wir haben ja sehr verschiedene Parteien. Auch die Linksfraktion im Europäischen Parlament ist recht bunt zusammengesetzt. Aber man arbeitet auf konföderaler Basis miteinander und ist sich bewusst, dass man nicht immer zu einer gemeinsamen Auffassung kommt, obwohl das Bemühen da ist. In der EL ist es einfacher, man kann versuchen, zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Man muss es jedenfalls in den wichtigen Themen, weil man nur dadurch den Einfluss stärken kann.
Gerade in Westeuropa scheint sich die Linke, was die Parteien anbelangt, zu zersplittern, beispielsweise in Frankreich und Italien. Lösen sich die klassischen Parteistrukturen auf?
Ja, leider, würde ich hinzufügen. Ich weiß nicht, welche Rolle Parteien künftig in der Mediakratie spielen werden. Das Parteileben, das meine Generation kennt, geht allmählich in ganz andere Formen über. Es gibt kleinere Gruppen, die zusammenhalten, aber im Großen und Ganzen sind die klassischen Formen des Parteilebens seltener zu finden. Und an die Stelle dessen tritt ein relativ lockerer Zusammenschluss, der, was manchmal bedauerlich ist, weniger miteinander kommuniziert und weniger Gemeinsamkeiten entwickelt. Die Zeit der ganzheitlichen Weltanschauung ist vorbei.
Die Europäische Linke will die EU und Europa auf einer demokratischen Basis neu begründen. Heißt das eine ganz neue EU oder Umbau der existierenden?
Ich finde, dass Neugründung nicht das richtige Wort ist. Ich glaube, wir brauchen eine Veränderung der EU hin zu mehr Sozialem, hin zu weniger Rüstung, hin zu Zielen wie Gleichberechtigung. Das ist der Weg, da muss man nicht alles neu erfinden. Es gibt ja auch Entwicklungen in der EU, die sich doch hinreichend bewährt haben.
Zum Beispiel?
Ich gehe mal von meinem Fachgebiet aus. In der Kultur oder auch in der Bildung oder im Tourismus, auf diesem einstigen Flickenteppich, ist man bei Verständnis und Kooperation in Europa deutlich vorangekommen. Und an die Stelle einer Polarisierung ist häufig auch eine vernünftige Kooperation getreten. Und ich halte es für eine sehr wichtige Errungenschaft, dass militärische Konflikte aus Europa verschwunden sind. Das kann man nicht häufig genug betonen.
Trotzdem bleibt der Umgang mit der EU ein Thema, das in der europäischen wie in der deutschen Linken heftig diskutiert wird. Nervt Sie diese Debatte?
Ja.
Zum dritten Mal in ihrer Geschichte kommen die Mitglieds- und Beobachterparteien der Europäischen Linken zu einem Kongress zusammen. Die zentralen Themen der bisherigen Parteitage finden sich auch in der Pariser Tagesordnung wieder: die Schaffung eines sozialen Europas, die Demilitarisierung der EU und ihre Demokratisierung. Auf dem Programm steht zudem ein Generationswechsel an der Spitze der Europäischen Linken – der Parteivorstand soll deutlich verjüngt werden.
Von Paris nach Paris
Januar 1999: In Paris verabschieden 13 Parteien einen Aufruf zur Europawahl. Nach der Wahl im Juni 1999 wird auf dieser Basis die Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) im Europäischen Parlament gebildet.Januar 2004: In Berlin findet ein Treffen von Parteien statt, die mit einem Aufruf die Gründung der Partei der Europäischen Linken (EL) vorbereiten.
Mai 2004: Am 8. und 9. Mai findet in Rom der Gründungskongress der EL statt.
Oktober 2005: Der erste EL-Kongress in Athen bekräftigt die Absicht, mit sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Linkskräften für ein soziales, friedliches und demokratisches Europa zu kämpfen.
November 2007: Der 2. Kongress in der tschechischen Hauptstadt verabschiedet den »Prager Appell für ein anderes Europa«.
November 2008: In Berlin beschließt die EL ihre Plattform für die Europawahlen im Juni 2009.
Juni 2009: Nach den Europawahlen bilden 35 Abgeordnete die neue GUE/NGL-Fraktion im EU-Parlament; 17 von ihnen gehören EL-Parteien an. sat
Agenda für ein soziales Europa
Aus dem Leitantrag des Vorstands der Partei der Europäischen Linken an den 3. Kongress in Paris:- Der Parteitag findet zu einer Zeit statt, da den Menschen in Europa immer mehr unerträgliche Zumutungen abverlangt werden. Mehrheitlich werden in den europäischen Ländern Programme zur Begrenzung der öffentlichen Ausgaben eingeleitet, Supersparkurse gefahren, öffentliche Dienstleistungen privatisiert und der Arbeitsmarkt zerstört. Wir lehnen gemeinsam mit anderen sozialistischen, kommunistischen und rot-grünen Parteien und Organisationen als Plurale Linke diese – in der EU durch eine Reihe von Verträgen verordnete – neoliberale Politik und ihre Strukturen ab.
- Die Krise ist auch eine Krise der Demokratie. Allzu oft werden wichtige Entscheidungen über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen. Wir kämpfen für eine demokratische Neubegründung Europas und der EU.
- Die Europäische Linke macht sich stark für eine demokratische alternative Politik, um die Situation auf jeder Ebene – der örtlichen, nationalen, europäischen und globalen – zu verändern. Dabei sind wir auf der Suche nach Partnern: politische Kräfte, Gewerkschaften und gesellschaftliche Bewegungen, jene, die meinen, ein anderes Europa sei möglich. Wir wollen dem Neoliberalismus auf nationaler und europäischer Ebene politisch und sozial die Stirn bieten. Wir wollen die Mehrheit für dieses Ziel gewinnen.
- Während der vergangenen zwei Jahre haben die Regierungen der dominanten Mächte das globale Finanzsystem mit enormen Summen öffentlicher Gelder am Leben erhalten. Dabei blieben sie gleichgültig gegenüber wachsender Armut. Die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte ist nicht im Geringsten vorüber. Die Regierenden haben weder die außer Kontrolle geratenen internationalen Finanzmärkte noch die globale Wirtschaftsordnung in Frage gestellt.
- Ohne sofortige Aktionen wird es keine wirksame Veränderung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise geben. Nachhaltige politische Veränderungen gehen darüber hinaus; weshalb alternative politische Aktionen und ein europäischer Aktionsplan zur Bekämpfung der Armut miteinander verbunden werden müssen. Gemeinsam mit den Gewerkschaften werden wir die Kampagne zur Einbringung einer Sozialklausel in die europäische Verfassung vorantreiben. Die konsequente Verknüpfung der Wirtschafts- und Währungsunion mit einer Sozial- und Umweltpolitik ist unverzichtbar.
- Die Linke betrachtet den Kampf gegen Armut als soziale und politische Herausforderung. Wir benötigen eine Entwicklung, die den Menschen in den Vordergrund rückt. Der Kampf gegen Armut wird nur dann erfolgreich sein, wenn dieses Ziel zur Schlüsselkomponente jeder Politik der EU und der Länder wird. ND
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