Große Handicaps bei der Arbeitssuche

Sachsen gründet Allianz zur Beschäftigungsförderung für Behinderte, die genügend zu tun hat

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
In Sachsen will eine Allianz dafür sorgen, dass mehr Behinderte Arbeit finden. Das ist nötig: Bisher profitieren diese nicht vom Aufschwung am Arbeitsmarkt. Die Politik kann das ändern, meinen Sozialverbände.
Mitarbeiter einer Behindertenwerkstatt der Bethel-Stiftung
Mitarbeiter einer Behindertenwerkstatt der Bethel-Stiftung

Ausgrechnet die Werkstätten sind nicht eingeladen. Wenn heute in Dresden im Beisein von CDU-Sozialministerin Christine Clauß eine Allianz gegründet wird, die mehr Menschen mit Behinderung in Arbeit bringen will, werden zwar 15 Beteiligte am Tisch sitzen, darunter Vertreter von drei Ministerien, Wirtschaft, Handwerk und Kommunen, Gewerkschaften sowie der Bundesagentur für Arbeit. Die Arbeitsgemeinschaften der Werkstätten sowie der Integrationsfirmen aber bleiben außen vor. Das, sagt Frank Schaffrath vom AWO-Landesverband, soll sich ändern: »Sie müssen beteiligt werden.«

Gründe gäbe es: Bislang sind es schließlich diese Einrichtungen, in denen viele Behinderte eine sinnvolle Beschäftigung und ein Auskommen finden. In den landesweit 60 Werkstätten sind knapp 16 000 Menschen tätig, in 45 Integrationsfirmen arbeiten weitere 410. Diese Betriebe, die den Übergang von den geschützten Werkstätten zum Arbeitsmarkt ermöglichen sollen, sind in der Regel bei sozialen Trägern angesiedelt. »Unternehmen«, so Schaffrath, »richten solche Betriebe nur äußerst selten ein.«

Es ist dies nur ein Beispiel dafür, wie schwierig es ist, Menschen mit Behinderungen in Arbeit zu bringen. Diese profitierten bisher nicht von der Erholung auf dem sächsischen Arbeitsmarkt, sagt Schaffrath. Die Zahl der arbeitslosen Behinderten liegt bei 11 500 und damit höher als 2005, während die Zahl der Arbeitslosen insgesamt seither um ein Drittel gesunken ist. Zudem dürften viele Behinderte in der Statistik nicht mehr auftauchen, weil sie Renten oder Sozialleistungen beziehen.

Die landesweite Allianz will die Beschäftigungschancen verbessern – und hat dazu ausreichend Möglichkeiten, betonte gestern vorab die Liga der freien Wohlfahrtspflege. Der Spitzenverband sieht Möglichkeiten sowohl bei den Unternehmen als auch bei der Landespolitik. Zwar gelten oft Bundesgesetze, sagt Astrid Jungnickel vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Das Land habe aber dennoch Regelungsmöglichkeiten.

Eine davon betrifft die Vergabe öffentlicher Aufträge. Bisher orientieren sich Land sowie Kommunen oft nur am Preis; Werkstätten und Integrationsbetriebe sind so nicht konkurrenzfähig. Die EU erlaube es aber, auch soziale Kriterien anzuwenden, sagt Jungnickel. Allerdings funktioniere das nur, wenn die Kommunen von der Landesregierung entsprechende Richtlinien erhielten.

Auch in der Wirtschaft könnten mehr Menschen mit Behinderungen eine Arbeit finden. Dazu sei es nötig, Abläufe etwa bei der Vermittlung unkomplizierter zu gestalten und die Förderung zu erleichtern. So solle der Nachteilsausgleich, den Betriebe bei Einstellung eines Behinderten erhielten, dauerhaft und personenbezogen gewährt werden, fordert die Liga. Bislang werden die Gelder befristet und für einen bestimmten Arbeitsort gezahlt. Das sei aus Sicht der Firmen unpraktisch, sagt Jungnickel. Derzeit seien in sächsischen Unternehmen 3,5 Prozent der Beschäftigten Behinderte; in der Landesverwaltung sind es 5,5 Prozent. Bei einem Anteil von unter fünf Prozent müssen Betriebe mit über 20 Beschäftigten eine »Integrationsabgabe« zahlen. Diese Abgabe solle erhöht werden, sagte gestern Annelie Bun-tenbach, Mitglied im DGB-Bundesvorstand. Damit könne der Druck auf Betriebe erhöht werden, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Für diese sei 2010 ein »schwarzes Jahr« gewesen was den Arbeitsmarkt anbelange: Viele hätten in der Krise ihren Job verloren; die Senkung der Eingliederungsmittel durch die Bundesregierung verschlechtere die Chancen auf den Wiedereinstieg. Bundesweit sind 173 563 Schwerbehinderte arbeitslos, 9,4 Prozent mehr als Ende 2008. Die Arbeitslosenquote bei Behinderten betrug zuletzt 14,6 Prozent; generell waren es 8,2 Prozent.


Zahlen & Fakten

Heute ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Der 1992 von den Vereinten Nationen ausgerufene Tag erinnert an die bisher von 147 Staaten unterzeichnete UN-Konvention zur Gleichstellung von Behinderten. Weltweit lebt jeder zehnte Mensch mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung. Betroffenenverbände in Deutschland kritisieren die Benachteiligung von Menschen mit einem Handicap auf dem Arbeitsmarkt, in der Ausbildung und in Schulen. Viele Behinderte müssten gegen ihren Willen in Heimen leben, weil die Pflege für sie zu Hause zu teuer sei. dpa/ND

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