Ausgebrannte Polizisten und ein Knöllchen-Boykott

Beamte in Sachsen protestieren gegen Reformpapier der Regierung

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Sparpläne der sächsischen Regierung bei der Polizei bringen die Beamten in Harnisch – auch wenn eine gewerkschaftliche Aufforderung zum zivilen Ungehorsam nicht von allen Uniformierten begrüßt wird.

Ausgerechnet Polizisten könnten in Sachsen bald nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Verkehrssünder würden nur ermahnt, nicht abkassiert, Überstunden nicht mehr geleistet. »Wir kommen nicht umhin, zum zivilen Ungehorsam aufzurufen«, sagt Frank Conrad, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Die Ordnungshüter, so die Drohung, könnten in Sachsen den Begriff »Dienstvorschrift« bald allzu wörtlich nehmen.

Der Groll, den Conrads Aufforderung zu gebremstem Diensteifer offenbart, hat Gründe im Spareifer der Regierung. Diese will zunächst allen Beamten, darunter auch viele Polizisten, ans Weihnachtsgeld gehen. Gegen die ab 2011 geplante Streichung war vergangene Woche mit einer Mahnwache am Landtag protestiert worden. Danach setzte Conrad mit dem Aufruf zum Ungehorsam noch eins drauf.

Gewerkschaften uneins

Der Appell zu Knöllchen-Boykott und Verweigerung von Überstunden kommt nicht bei allen Polizisten in Sachsen gut an. Er wolle sich dem Aufruf nicht anschließen, sagte gestern Hagen Husgen, frisch gewählter Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). »Kein Polizist sagt nach acht Stunden: Es ist Feierabend«, glaubt er. Gleichzeitig betont er, dass die Forderungen der Kollegen von der DPolG »auch unsere Forderungen sind«: Das Weihnachtsgeld, so der GdP-Chef, »gehört nicht gestrichen«.

Gestrichen oder zumindest stark überarbeitet werden soll dagegen seiner Ansicht nach ein Papier mit dem Titel »Polizei.Sachsen 2020«, das die Polizisten ebenso aufbringt wie das Thema Weihnachtsgeld. Darin hatten Innenminister Markus Ulbig (CDU) und Polizeichef Bernd Merbitz unlängst erklärt, unter welchen Prämissen die Polizei in den nächsten Jahren umgebaut werden soll. Dazu gehört auch ein Abbau von etwa 2600 Stellen. Zugleich solle, wie Ulbig betonte, jedoch der Streifendienst im bisherigen Umfang erhalten werden; zudem solle es ein dichtes Netz an »Bürgerpolizisten« geben.

Personalmangel überall

Derlei Ankündigungen seien »Beruhigungspillen«, sagt Husgen. Die Zahl der Bürgerpolizisten etwa sei schon jetzt viel zu niedrig. In der Region Chemnitz / Zwickau müsste es – den vom Ministerium vorgegebenen Schlüssel zugrunde gelegt – derzeit 78 dieser Beamten geben, die wie einstige Abschnittsbevollmächtigte für Anliegen und Anfragen der Bürger da sein sollen. Tatsächlich sind es nur 23.

Mehr würden es bei einem Stellenabbau nicht werden, sagt Husgen – auch wenn im Papier angekündigt wird, die Polizei wolle viele Aufgaben auslagern, wodurch Personal frei werde. Die Bewachung von Gerichten und den Transport von Gefangenen werde man aber kaum die an Justiz abgeben können, so der GdP-Chef: »Dort wird auch gekürzt.« Und ob die Privatisierung von Buchhaltung und Autoreparaturen billiger sei, stehe in den Sternen. Derlei Auslagerung werde vermutlich nicht im gewünschten Umfang gelingen.

Damit wird sich wohl wenig an der Tatsache ändern, dass zu wenige Polizisten zu viel Arbeit erledigen müssen. In Sachsen könne man nicht mit Durchschnittszahlen aus West-Flächenländern operieren, so Husgen; es gebe schließlich eine lange Grenze, eine starke rechtsextreme Szene sowie Problemspiele in Fußballstadien »von der zweiten bis zur fünften Liga«.

Für deren geordneten Ablauf ist oft die Bereitschaftspolizei zuständig. Die soll, hatte Ulbig betont, »in voller Stärke« in Sachsen verbleiben. Allerdings: Diese volle Stärke hat sie bislang nie erreicht, korrigiert Husgen. Gemäß einem Bund-Länder-Abkommen müsste Sachsen acht Hundertschaften stellen; faktisch ist es eine weniger. Und darüber hinaus fehlen noch einmal 161 Polizisten: »Wir haben nicht einmal sechs Hundertschaften«, sagt der Gewerkschafter.

Rund 1500 Kranke täglich

Folge der Unterbesetzung ist eine ständige Überbelastung, die krank macht. Jeden Tag fehlten in Sachsens Polizeiapparat 1500 Beamte wegen Krankheit, sagt Husgen und merkt salopp an: »Burn-out lässt grüßen.« Solle sich diese Situation nicht noch verschärfen, müsse das Konzept zum Polizei-Umbau, das mit den Gewerkschaften im Übrigen bislang nicht besprochen worden sei, überarbeitet werden. Bisher sei es nur ein Papier, »um den personellen Aderlass zu begründen«, sagt Husgen. Den müsse die Landesregierung beenden und stattdessen deutlich mehr junge Beamte einstellen.

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