1. Tag der Honduras-Delegation

  • Lesedauer: 6 Min.

Die Alternative Wahrheitskomission

Wir sind in Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras, angekommen. Ein Treffen mit der Alternativen Wahrheitskommission steht als erster Programmpunkt an. Diese will die Geschehnisse des Putsches gegen die Regierung von Manuel Zelaya am 28. Juni 2010 rekonstruieren und sowohl Menschenrechts­verletzungen während und seit dem Umsturz wie auch die Verletzung der honduranischen Verfassung dokumentieren.

Die Alternative Wahrheitskommission (Comisión de Verdad) wurde als Antwort auf die Offizielle Wahrheitskommission (Comisión de la Verdad, CVR) gegründet. In dieser untersuchen die am Putsch beteiligten Institutionen quasi ihre eigenen Taten. Es ist eine absurde Show, um den Staatsstreich ein weiteres Mal zu legitimieren. Der Alternativen Wahrheitskommission stehen prominente internationale Persönlichkeiten vor, wie beispielsweise Luis Carlos Nieto, Verfassungsrichter vom Obersten Gerichtshof in Spanien.

Der US-Amerikaner Tom Loudon, technischer Leiter der Kommission, berichtet uns von den drei Stufen, auf denen die Kommission arbeitet. Zunächst sollen die Opfer von Menschenrechtsverletzungen interviewt werden und die Vorfälle sowie Täter identifiziert werden, um ein historisches Archiv zu schaffen. Dann sollen die Verfassungs­verstöße untersucht und analysiert werden. Drittens wird der historische und sozioökonomische Hintergrund des Putsches erfasst.

Ende Juni 2011 soll der erste vorläufige Bericht vorliegen. Im Oktober dann wird der endgültige Kommissionsbericht in mehreren Sprachen veröffentlicht. Dieser soll als Grundlage für eine juristische Strafverfolgung der Verantwortlichen und direkten Ausführenden des Putsches dienen. Der Internationale Strafgerichtshof im niederländischen Den Haag hat schon Interesse angemeldet.

Die offizielle Wahrheitskommission ist allein aufgrund der Existenz der alternativen Kommission zu einer besseren Arbeit angehalten. Das offizielle Gremium beruft sich auf die Verhandlungen von San José in den Monaten nach dem Putsch und erhält erhebliche Finanzmittel aus den USA und der EU. Von der Bevölkerung wird sie allerdings abgelehnt. Die Menschenrechts­organisation COFADEH berichtet, dass Zeugenaussagen unter Druck erzwungen werden. Für die Alternative Wahrheitskommission hat der Zeugenschutz oberste Priorität.

Tom Loudon hält die aktuell von der Internetplattform Wikileaks veröffentlichten Dokumente für eine Bereicherung der Arbeit der Kommission. Schon durch das Schreiben des US-Botschafters Hugo Llorens an das US-Außenamt, in dem er dem Umsturz knapp einen Monat später für illegal erklärt, wird deutlich: die US-Regierung hätte Sanktionen ergreifen müssen. Insgesamt 1.948 Dokumente mit Bezug auf Honduras sollen darüber hinaus noch existieren.

Aktuelle Landkonflikte in Honduras

Der Landkonflikt in Bajo Aguán im Norden von Honduras spitzt sich fast täglich weiter zu. Gleichzeitig gibt es eine massive Kampagne der regimenahen Medien, von denen die Aktivisten der dort ansässigen Bauernbewegungen als „Terroristen“ diffamiert werden. Wir treffen uns spontan mit Jesús Garza vom zivilgesellschaftlichen Netzwerk CHAAC (Coalición Hondureña de la Acción Ciudadana). Dieses ist vor allem gegen das Freihandelsabkommen mit den USA und das noch zu ratifizierende Assoziierungsabkommen mit der EU aktiv.

Das Assoziierungsabkommen (ADA) mit Zentralamerika wird für die EU vor allem einen neuen Absatzmarkt für Fleisch- und Milchprodukte schaffen. Gleichzeitig öffnet sich eine Import­möglichkeit von Mais und Zucker für die Herstellung von Ethanol. Dies bedeutet eine große Konkurrenz für die kleinen und mittelständischen Agrarbetriebe in Honduras sowie eine Gefährdung der Ernährungssouveränität der Bevölkerung durch den Export von Grund­nahrungs­mitteln. Mit der Unterzeichnung des ADAs wurde der durch illegale Wahlen ins Staatsamt gebrachte Porfirio Lobo als Präsident anerkannt.

Garza erklärt uns als Agrarexperte auch die beiden Komponenten des Landkonflikts in Bajo Aguán. Zum einen geht es um Ländereien, die ehemals im kollektiven Besitz waren und im Zuge der Agrarreform von 1992 in den folgenden Jahren an das Agrarministerium verkauft wurden. Dies veräußerte es dann an Unternehmer wie Miguel Facussé. Hier waren Manipulation und Drohungen im Spiel. Die Armut der Bauern und Hierarchien innerhalb der Kollektive wurden ausgenutzt, um Land aufzukaufen. So gründete sich die Bauerngewerkschaft MUCA, um eine Rückgabe der 11.000 Hektar zu fordern. 700 Familien besetzten Fincas.

Seit einigen Tagen werden diese Familien gewaltsam mit Einsatz des Militärs geräumt. Dieses drang sogar in Einrichtungen des Agrarministeriums ein, um Unterlagen zu beschlagnahmen. Damit schützt es ganz offensichtlich die Interessen des Großgrundbesitzers Facussé, der ausgedehnte Palmölplantagen in der Region besitzt und darüber hinaus als maßgeblicher Finanzier des Putsches 2009 gilt. In Manier der kolumbianischen Aufstandbekämpfung erscheinen Fotomontagen, die die Bauernkollektive als Guerillagruppen kriminalisieren und die paramilitärisch organisierte Privatarmee Facussés als ihre Opfer darstellen.

Daneben gibt es einen weiteren Konflikt in der Region von Bajo Aguán. Dabei geht es um das ehemalige Gebiet des CREM, einer Ausbildungsstätte für die in den 1980er Jahren von den USA gegen das sandinistische Nicaragua aufgebauten Contra-Milizen. Das Agrarministerium erklärte dieses Gebiet zu „in Staatsbesitz übergegangenes Land“ und vergab die Landtitel zunächst an Kooperativen, die heute in der Bauerngewerkschaft MCA organisiert sind. 1992 werden die Ländereien dann aber von der Kreisregierung Trujillo illegale ebenfalls an den Unternehmer Facussé verkauft. Dieser fordert nun Entschädigungszahlungen von der Regierung und lässt Überfälle auf die Bauern verüben.

Am Mittwoch werden wir als Teil einer 50-köpfigen Karawane von Angehörigen der Presse und der Zivilgesellschaft nach Bajo Aguán aufbrechen.

Los Necios

Am Abend hatten wir ein Treffen mit der politischen Jugendgruppe Los Necios.

“Die Ungehorsamen” verstehen sich als Angehörige der „Generation Reagan“. Sie arbeiten seit elf Jahren in den verschiedenen marginalisierten Vierteln von Tegucigalpa und sind auch an den Universitäten präsent. Sie waren quasi einer der Verbindungen zwischen dem gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya und der zivilgesellschaftlichen Bewegung.

Gilberto Rios: „Es gibt viele historische und aktuelle Bewegungen in Lateinamerika, auf die wir uns positiv beziehen, aber Honduras muss seinen eigenen Weg finden. Hier gibt es so viele Realitäten und Ausbeutungsverhältnisse; da gibt es die Landarbeiter, die Bewegung der Garifuna (aus Afrika stammender Bevölkerungsteil an der Küste), die Indigenen, die feministische Bewegung. Das, was wir in gemeinsamen Diskussion entwickeln, erscheint uns viel wichtiger und tragfähiger, als alles, was wir uns anlesen könnten.“

Vanessa Mariaga: „Wenn sich die Widerstandsbewegung gegen den Putsch als Partei aufstellt, läuft es irgendwann auf die Frage heraus, wen wähle ich jetzt: die Konservativen, die Liberalen oder die FNRP? Wir versuchen den Leuten klarzumachen: Ihr müsst euch selbst überlegen, was ihr wollt und braucht. Die Leute dürfen keine Angst vor politischer Macht haben, sie müssen sie sich selbstverantwortlich aneignen.“

Geraldo Torres: „Die politische Bildung und Organisierung ist die derzeit wichtigste Arbeit. Die Demokratiebewegung wird nicht schwächer, sie wird stärker. Die Dynamik ist eine andere geworden, es sind nicht mehr Tausende auf der Straße. Aber jetzt gibt es strategische und inhaltliche Treffen, die es vorher nicht gab.“

www.hondurasdelegation.blogspot.com/
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