Wo bitte geht's zum Atommüll-Endlager?

Warum Jürgen Trittin in Lubmin zum Kaffeetrinken eingeladen ist

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Gleisanlagen vor dem Zwischenlager in Lubmin. Demnächst wird das Verbot politisch motiviert sein. Doch ob das der Sicherheit dient?
Die Gleisanlagen vor dem Zwischenlager in Lubmin. Demnächst wird das Verbot politisch motiviert sein. Doch ob das der Sicherheit dient?

Sachsen darf seinen Atommüll aus dem Forschungsreaktor in Rossendorf nicht nach Russland exportieren. Das ist in Ordnung so. Nur sollte sich der Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nicht mit fremden Gefieder schmücken. Nicht er hat den Transport von 951 Brennelementen ins sibirische Majak gestoppt. Im Gegenteil. Er hatte den Transport durch das Bundesamt für Strahlenschutz schon vor Monaten genehmigen lassen. Doch dann kam ein Transport aus Frankreich nach Gorleben dazwischen.

Die Proteste quer durchs Land waren heftiger als von der schwarz-gelben Koalition erwartet. Also erinnerte man sich jetzt im Hause Röttgen prophylaktisch, dass es sich bei den 951 Brennelementen nicht um Atommüll sondern um Wertstoffe handelt. Für den Export solcher Wertstoffe ist das Bundesausfuhramt zuständig. Das untersteht dem FDP-gelenkten Bundeswirtschaftsministerium.

Und da entschloss man sich, herauszufinden, dass die Anlage in Majak gerade nicht laufe und Röttgen trompetete – fast wie ein gesamteuropäischer Umweltschützer: Es fehle der Nachweis, »dass die Brennelemente in der russischen Anlage Majak schadlos verwertet werden«. Super Notbremse! Russisches Endlager ade?

Aber nein! Dass der CDU-Mann daran festhält, die Brennstäbe so rasch wie möglich los zu werden, ist dagegen klar. Röttgen sagte – und das ging fast im Jubel der Atomkraftgegner unter –, dass die vorliegenden Unterlagen eine abschließende Aussage über das weitere Verfahren »gegenwärtig« nicht zulassen. Und so ist das Transportverbot nur »zunächst endgültig«. Was hinter diesem seltsamen Begriffspaar steckt, wartet man in Sachsens Wissenschaftsministerium gelassen ab. »Mal sehen, was dem Herrn Bundesumweltminister einfällt, wenn die Majak-Anlage in einem Vierteljahr wieder läuft«, heißt es dort.

Sachsen hat sich – so wie Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg – nicht darum gerissen, die nuklearen Hinterlassenschaften der DDR und damit die Verantwortung für Werke, Brennstoffe und Atommüll zu übernehmen. Doch die Anlagen stehen nun einmal in Rossendorf, Lubmin und Rheinsberg und der Einheitsvertrag verfügt Verantwortlichkeiten.

Lubmin ist nach der Wende mit einem »blauen Auge« davongekommen. Allein hätte Mecklenburg-Vorpommern den Rückbau nicht gestemmt. Ein 3,2 Milliarden Euro teures, vom Bund finanziertes Stilllegungsprogramm begann. Allerdings mit dem zunächst noch heimlichen Hintergedanken, auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerkes nicht nur die kontaminierten Leuschner-Anlagen sowie deren Befüllung und Abfälle zu lagern. Während die verbliebenen Kraftwerker als Beschäftigte der Energiewerke Nord (EWN) zu inzwischen global gefragten Rückbau-Experten für Nuklearanlagen »umschulten«, entstand am Bodden ein reichlich dimensioniertes Zwischenlager. Baukosten 250 Millionen Euro. 1997 wurde es in Betrieb genommen.

In den acht Hallen – eine ist für Kernbrennstoffe reserviert – werden die strahlenden Hinterlassenschaften aus Lubmin und Rheinsberg, aber auch Materialien aus allen anderen Atomforschungsanlagen des Bundes eingelagert.

Am 14. Dezember wird im französischen Cadarache ein Zug mit hochkonzentrierter radioaktiver Fracht abfahren. Bestimmungsort Lubmin. Am 16. Dezember soll er in der Region eintreffen. In den vier erwarteten Castoren verstaut ist bundesdeutscher Wissenschaftsmüll aus dem Forschungszentrum Karlsruhe und dem 1979 stillgelegten Atomfrachter »Otto Hahn«.

Der Transport erzürnt die Gemüter und lässt möglicherweise eine vorher kaum existierende Anti-Atom-Bewegung im Nordosten Deutschlands erstarken. Das Protestpotenzial sei »deutlich gewachsen«, vermeldet Grünen-Aktivistin Ulrike Berger. Und das erzürnt wiederum Jürgen Ramthun. Der ist neben Dieter Rittscher, der nach der Castor-Aktion in Rente gehen und durch einen Staatssekretär aus dem Bundesfinanzministerium ersetzt werden wird, Geschäftsführer der EWN. Und der Mann aus der Region, mit Leib und Seele Techniker, ist »stolz, dass das in Wendezeiten dem Tode geweihte Unternehmen« so prächtig gedeiht. 800 Leute seien hier beschäftigt. Zum Tariflohn. Auf dem nicht mehr benötigten Kraftwerksgelände haben sich Dutzende Firmen angesiedelt. Hier wird im kommenden Jahr die sibirische Erdgasleitung anlanden. Auch wenn die EWN selbst keine Steuern zahlen, von dem, was im Umfeld entstanden ist, lebt das Land nicht schlecht.

Dass »die da in Schwerin« dennoch gegen das »Atomklo« Lubmin wettern, sei billig. Schließlich trägt die Landesregierung so gut wie keine Verantwortung für das Zwischenlager. Die Einlagerungen gehören dem Bundesforschungsministerium, also der Frau Schavan, die sich bislang hinter dem Umweltminister verstecken konnte.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) zeigte jüngst im Landtag Sympathien für friedliche Proteste gegen den neuen Castor-Transport: »Mich ärgert, dass die Bundesregierung Atomschrott aus dem Westen in Lubmin einlagern will, und dass wir diese Transporte auch noch mit unserer Landespolizei absichern müssen«, gab er zu Protokoll. Auch in SPD-Gliederungen gärt es. So organisiert beispielsweise Frank Luttmann, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Teterow, Busse, um Protestler am kommenden Samstag zur Kundgebung nach Greifswald zu bringen.

Solche Hilfe »freut uns natürlich sehr«, sagt Felix Leipold vom Anti-Atom-Netzwerk und unterstreicht jedes Wort, wenn die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth Zwischenlagerung von Atommüll aus West- und Süddeutschland in Lubmin an der Ostsee als »besonders unverschämt« bezeichnet.

Ramthun dagegen bekommt »so'n Hals«, wenn Politiker von SPD und Grünen »Stimmung machen«. Dann holt er Verträge und Genehmigungen heraus, die von sozialdemokratischen und grünen Spitzenleuten unterzeichnet wurden. Schwerin habe sich bisher nicht sonderlich darüber aufgeregt. Lediglich der damalige linke Umweltminister Wolfgang Methling hat Brandbriefe an die jeweiligen Bundesumweltminister von Rot-Grün und Schwarz-Gelb geschrieben. Am 25. November 2004 antwortete der Grüne Jürgen Trittin. Am 26. Juli 2006 erhielt Methling den Bescheid von SPD-Mann Sigmar Gabriel. Der Inhalt beider Schreiben lässt sich zusammenfassen: Es bleibt alles, wie beschlossen. Basta! Das sagt auch Röttgen. Nur öffentlich nicht ganz so grob.

Doch nicht der, sondern Jürgen Trittin steht dem Geschäftsführer Ramthun quer. Gerne würde er Trittin »mal zum Kaffee einladen«. Eigentlich schmeckt der in der EWN-Chefetage ganz gut, doch die ehemaligen Kraftwerker würden dem »grünen Wendehals« sicher noch so einiges mehr einschenken. Denn sie sind es leid, immer wieder – je nach Regierungs- oder Oppositionsrolle von Politikern – vors Loch geschoben zu werden.

Im Grunde sei das so seit Helmut Schmidts Regierungszeiten. Damals 1980 war FDP-Mann Gerhard Baum als Innenminister für Umweltschutz zuständig. Damals wurden die Verträge geschlossen zwischen dem bundeseigenen Kernforschungszentrum in Karlsruhe und dem französischen Kommissariat für Atomenergie. Man karrte Atommüll nach Frankreich, angeblich, um den wiederaufbereiten zu lassen. Von Anfang an war klar, dass es sich nicht um einen Dauerparkplatz handelte.

Inzwischen vollzogen sich gewaltige historische Umwälzungen. Aus zwei Deutschländern wurden eines. Ramthun hat deshalb – anders als die Protestierer, die sich demnächst an den Bahnstrecken nach Lubmin und vor seinem Werktor versammeln werden – kein Problem, Atommüll gesamtdeutsch zu betrachten. »Hier in Lubmin hat der Bund ein Lager bezahlt und hier arbeiten die Menschen, die kompetent genug sind, das Problem zu bewältigen.«

Außerdem, so ergänzt seine Pressechefin Marlies Philipp, sei nach den insgesamt neun in zwei Transporten zu erwartenden Castoren Schluss. Der Bund habe keine weiteren Kernbrennstoffe, die in Lubmin eingelagert werden sollen. Kann man dem glauben? Oder ist Lubmin nur ein weiterer Parkplatz für ungelöste Nuklearprobleme? »Zunächst endgültig«, wie Röttgen im Fall Majak sagt? Aber nein, hört man bei EWN. Lubmin darf gar nicht Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle werden. Das verbieten die amtlichen »Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung«, die tiefe geologisch sichere Schichten verlangt.

Wo bitte geht's denn hier zum Endlager? Die Frage hallt durch die ganze Bundesrepublik. Beantwortet wird sie nicht. Auch nicht mit dem Schlachtruf: Gorleben. Alles ist offen. Angeblich. Im Klartext heißt das für Lubmin: Die Lagerung der Castoren wird dort noch Jahrzehnte andauern. Und die Proteste dagegen vermutlich auch.

Wo bitte geht's zum Atommüll-Endlager?
Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.