7. Tag - Macuelizo: Terror, Drohungen und Angst - und der Wille, das Leben in die eigene Hand zu nehmen
Wir fühlen uns ein wenig wie im Nicaragua der 80er Jahre, als wir in Macuelizo an einem Bildungsseminar der Organisation Patronate Regional del Occidente (PRO), einer Basisorganisation für lokale Entwicklung im Bundesland Santa Bárbara, teilnehmen. Im Versammlungssaal der Sekundarschule des malerischen Dörfchens sitzen gut 60 Delegierte der umliegenden Gemeinden auf Plastikstühlen vor einer Leinwand, auf die der Overheadprojektor Grafiken und Statistiken wirft, die die politische Lage in Honduras erklären sollen.
Politische Bildung im Dorf Macueliza
Kurz zuvor hat Oscar Mendoza in seiner Eröffnungsrede der Versammlung die Aufgaben und Ziele des Tages vorgestellt. Die großteils männlichen TeilnehmerInnen sollen sich Kompetenzen erarbeiten und durch die Diskussion geteilter Probleme auf der Grundlage einer gemeinsamen Wissensbasis handlungsfähig werden. Zum Einstieg gibt es daher eine Präsentation über die „sozialen Realitäten“ in Honduras, professionell aufbereitet von einem Soziologen der Lutheranischen Gemeinde, die PRO tatkräftig unterstützt.Dazu gehört es auch, die gegenwärtige Lage einzuschätzen. Und was die De-facto-Regierung von Staatschef Porfirio Lobo betrifft, kommen die Delegierten zu keinem guten Resümee. Es sei eine schwache Regierung, die sich genötigt sehe, sich auf Militär und rohe Gewalt zu stützen. Nicht nur Menschenrechtsverletzungen, sondern auch die internationale Isolation von Honduras gingen auf ihr Konto. Die Koalition unter Lobo, die sich „Regierung der nationalen Einheit“ nennt, hätte im Kontrast zu diesem Slogan mit ihren unsozialen Maßnahmen das Land weiter polarisiert, so z.B. mit der Einführung der Stundenarbeit.
"Mit dem Ziel, uns Kompetenzen zu erarbeiten"
PRO agiert mit einer Kombination aus Verhandlungen und Druck, der z.B. durch Straßenblockaden aufgebaut wird. Dabei sind sie einer ständig steigenden, lebensbedrohlichen Repression ausgesetzt, erzählt uns im Anschluss an die Veranstaltung Oscar Mendoza. Erneut erfahren wir, was die Kolumbianisierung des Konflikts in Honduras in der Lebensrealität der Menschen bedeutet. Die illegalen Hinrichtungen und Morde werden erst an (mutmaßlichen) Kriminellen verübt, um dann in der zweten Phase auch AktivistInnen der sozialen Bewegung zu töten, sozusagen als Fortsetzung einer Kampagne „sozialer Säuberung“.„Wir befinden uns mitten in der ersten Phase dieser Strategie, die auch in Kolumbien gegen soziale Bewegungen zur Anwendung kommt“, mein Mendoza.
In der Region kam es in den letzten Monaten zu sieben solcher illegaler Hinrichtungen, zwei davon in Macueliza. In dem trügerisch idyllischen Dorf schossen Polizisten einem Drogenhändler vor den entsetzten Blicken der Dorfbewohner am Hauptplatz in den Kopf, um die Leiche an Ort und Stelle liegen zu lassen.
Zusammen mit den ständigen Morddrohungen gegen die BasisaktivistInnen schaffen solche Gewaltakte ein Klima der Angst. Die Anspannung und der Stress sind den TeilnehmerInnen der Veranstaltung deutlich ins Gesicht geschrieben.
www.hondurasdelegation.blogspot.com/
Konflikt und Widerstand in Honduras - ein kurzer Überblick
Die Delegationsreise zur Lage der Menschenrechte und der Demokratiebewegung nach dem Putsch, ist am 5.12. von Deutschland und Österreich aus nach Honduras aufgebrochen. Sie bereist zwei Wochen lang das Land, das am 28.06.2009 durch einen zivil-militärischen Putsch gegen den links-orientierten Präsidenten Manuel Zelaya international Schlagzeilen machte. In zahlreichen Treffen mit ProtagonistInnen des Widerstandes aber auch Organen der Putschregierung werden Informationen zur aktuellen Lage gesammelt. Diese werden der europäischen Öffentlichkeit durch Medien- und Projektarbeit zur Verfügung gestellt.Im Zentrum des Widerstandes steht die nach dem Putsch gegründete Nationale Front des Populären Widerstandes (FNRP), die Dachorganisation von über 60 Organisationen und Initiativen. Sie vertritt auch nach dem Sturz von Manuel Zelaya dessen Idee einer verfassungsgebenden Versammlung, über deren Einberufung die Bevölkerung von Honduras abstimmen soll. Dafür hat sie in einer landesweiten Kampagne über 1,3 Millionen Unterschriften gesammelt. Die Versammlung soll sich dem Ziel widmen, eine Verfassung zu erarbeiten, die „ein neues und alternatives Lebensmodell“ entwirft, meint Jesus Antonio Chavez von der FNRP.
Wie nötig das ist, zeigt der seit jeher ungelöste Agrarkonflikt, der sich momentan im Tal von Bajo Aguán im Nordosten des Landes gefährlich zuspitzt. Die FNRP sieht darin derzeit eines ihrer wichtigsten Betätigungsfelder, da die Landfrage die strukturellen Probleme Honduras auf den Punkt bringt. In Bajo Aguán verfügt ein Großgrundbesitzer namens Miguel Facussé über 16.000 Hektar des fruchtbarsten Landes von Honduras, erworben unter zweifelhaften Umständen und mittels der Vertreibung der dort lebenden Bauern durch seine Privatarmee unter Rückendeckung des honduranischen Militärs. Die unter ärmlichsten Bedingungen lebenden Bauern fordern das Land, auf dem sie seit Generationen leben, zurück. Sie haben die Fincas, auf denen Facussé Ölpalmen anbauen lässt, teilweise besetzt.
Im Zusammenhang mit diesem Konflikt steht auch die Kampagne der FNRP gegen Straflosigkeit und Willkür. Seit dem Putsch sind fast 200 von der Menschenrechtsorganisation COFADEH registrierte Morde an den gewaltlosen AktivistInnen der Resistencia bekannt. Am 15.11.2010 starben beispielsweise fünf Mitglieder der Bauernorganisation MCA in Bajo Aguán im Kugelhagel der Paramilitärs, die auf Anordnung Facussés eine besetzte Finca räumten. Aufgeklärt wurde bisher aber noch keiner der Morde. Angesichts dieser Straflosigkeit bemüht sich die FNRP den Fall Honduras vor den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu bringen, der im November 2010 Interesse anmeldete.
Um dieser Gefahr zu entgehen, setzte die Regierung Lobo eine „Comisión de la Verdad“ (Wahrheitskommission) ein, die die einzelnen Fälle untersuchen soll. Da diese aber bisher kaum Ergebnisse produzierte, installierte die Widerstandsbewegung ihre eigene „Comisión De Verdad“ (echte Kommission), der unter anderen bekannte Persönlichkeiten wie Luis Carlos Niete vom Obersten Gerichtshof Spaniens vorstehen. Ihre Arbeit soll die Grundlage für ein mögliches Verfahren beim IStGH sein, ein erster Bericht wird Ende Juni 2011 erwartet.
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