Bruder unter Brüdern

»Von Menschen und Göttern« von Xavier Beauvois

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Dies ist die Chronik eines vorhersehbaren Mordes. 1996 wurden im algerischen Tibhirine neun französische Trappisten-Mönche auf grausame Weise ermordet. Später fand man ihre abgeschlagenen Köpfe. Zwei der Mönche konnten sich im Kloster verstecken, als die Mörder kamen. Daher kennen wir die Geschichte.

Der Film von Xavier Beauvois setzt Monate zuvor ein. Wir sehen ein Kloster abseits in den algerischen Bergen, eine Idylle mit Gärten und weiten Blicken. Die Zisterzienser, die hier seit Langem in ländlicher Abgeschiedenheit die Stille ihrer Glaubensrituale leben, mit Singen, Beten und gemeinsamer Arbeit im Klostergarten, wissen von dem nahenden Unheil. Die Kämpfe zwischen algerischer Armee und islamistischen Rebellengruppen verwüstet bereits seit Jahren das Land. In der Nähe des Klosters sind kürzlich auf einer Baustelle 14 kroatische Arbeiter massakriert worden. Es wird höchste Zeit, das Land zu verlassen und nach Frankreich zurückzukehren. Das sagen die Militärs, das sagt der Orden in Frankreich – aber der Abt der Klosters, Bruder Christian, will vor der Gewalt nicht weichen. Haben sie nicht eine Berufung? Dürfen sie sich in Sicherheit bringen, wo doch auch die einheimische Bevölkerung den Überfällen der Bewaffneten ausgesetzt bleibt?

Mit den Dorfältesten und dem islamischen Religionsvorsteher besprechen sie immer wieder die Lage. Auch diese fürchten den Terror von Fundamentalisten, die Frauen auf offener Straße die Kehle durchschneiden, wenn sie diese ohne Schleier antreffen. Was sind das nur für Menschen, die so etwas tun?, fragen die alten Moslems verzweifelt Bruder Luc. Und sie bitten ihn, das Kloster keinesfalls aufzugeben, denn es sei der einzige Schutz, den das Dorf noch habe, ihre einzige Verbindung zur Welt. Das Kloster ist auch Anlaufpunkt für medizinische Hilfe, für Lebensberatung aller Art, selbst bei anstehenden Behördengängen hilft man. Das christliche Kloster gehört hierher, daran zweifelt niemand.

Nur die Mönche selber beginnen zu zweifeln. Was können sie Messern und Gewehren schon anderes entgegensetzen als ihre Gebete? Und die helfen nicht gegen Glaubensfanatiker, die nur kommen, um zu morden, das wissen sie alle. Der Film begleitet die Brüder in diesen letzten Monaten vor ihrem Tod, zeigt ihre wachsende Unruhe, ihre Todesangst und die Unsicherheit von Menschen, die nicht wissen, wie sich richtig entscheiden. Bleiben oder gehen? Wir wissen, sie sind geblieben. Aber niemand von ihnen wollte ein Märtyrer werden, sie alle wollten für ihren Glauben leben, nicht sterben.

Xavier Beauvois ist mit seinem in diesem Jahr in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichneten Film »Von Menschen und Göttern« etwas Außerordentliches gelungen: Bilder, die man lange mit sich trägt, Fragen, deren Unlösbarkeit bleibt. Welch eine eindringliche Verbindung von Kammerspiel und elegischem Porträt einer fruchtbaren Landschaft mit einem Kloster, das eine hier fremde Kultur repräsentiert. Aber verbindet sie mit den Menschen hier nicht viel mehr, als sie voneinander trennt? Niemand geht freiwillig fort. Doch ist es denn klug zu bleiben – und haben sie nicht die Pflicht, klug zu sein in dieser eskalierenden Situation?

Der Abt steht in der Kritik der Brüder. Er darf in dieser existenziellen Situation nicht einfach über sie entscheiden, jeder soll selbst entscheiden dürfen, welches Risiko er tragen – ertragen! – will. Das Kunststück gelingt: Wir wohnen einer tiefen menschlichen Verunsicherung bei. Immer wieder sprechen die Mönche über den richtigen Weg, Normalität inmitten der Ausnahmesituation zu leben. Darf man denn ein Kloster aufgeben, das einem für lange Zeit Heimat war? Die einzelnen Mönche werden nun in ihrer Individualität erkennbar, bekommen Gesichter, die sich einprägen. Sie werden unterscheidbar in ihrem Charakter, auch in dem, was sie Mönch werden ließ.

Es bleibt eine ausweglose Situation – und nur gemeinsam können sie die Angst immer wieder überwinden. Ein eindringlicher, ein ganz und gar unpathetischer, stiller Film, der gerade darum Größe gewinnt. Die Schauspieler um Lambert Wilson als Abt Christian und dem herausragenden Michael Lonsdale als altem Bruder Luc agieren mit einem kaum für möglich zu haltenden Einfühlungsvermögen in die Welt der Trappisten, die plötzlich so gewaltsam gestört wird. Als die Rebellen dann tatsächlich mehrmals ins Kloster eindringen und medizinische Versorgung von Verwundeten erzwingen, wird auch das algerische Militär misstrauisch gegenüber den Mönchen. Auf wessen Seite stehen sie denn, auf ihrer oder der ihrer Feinde? Immer auf der des Gekreuzigten, aber das ist der verlorenste aller möglichen Posten.

Ein aufwühlender Film darüber, was Glaube vermag, der sich nicht gegen andere richtet, sondern einem selbst hilft, auf richtige Weise zu leben. Keiner weiß, wie groß ein Opfer sein darf, das man seinem Glauben bringt. Es ist kein Triumph, für ihn zu sterben, im Gegenteil, es ist ein schreckliches, jedoch manchmal vielleicht unausweichliches Scheitern. Aber zuletzt, das wissen die Brüder, geht es gar nicht mehr darum, ob man ein Christ oder Moslem ist, sondern einzig darum, ein Mensch zu bleiben.

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