Stil – und Klasse
Mueller-Stahl 80
Mangelnde Begabung«, hieß es offiziell, als er von der Schauspielschule flog. Armin Mueller-Stahl hatte, nachdem schon der Weg zum Konzertgeiger eingeschlagen war, sich für die Schauspielerei als neue Herausforderung entschieden. Tatsächlich stand er bald als singender Prinz in der nachmittäglichen Märchenvorstellung auf der Bühne. Und blieb beim Theater. 25 Jahre gehörte er zum Volksbühnen-Ensemble in Berlin, war begehrt bei Film und Fernsehen der DDR.
So sah es aus mit der »mangelnden Begabung«: mit »B« zu schreiben wie beliebtester Schauspieler der DDR – in einer Filmschauspielerkarriere, die 1960 mit Frank Beyers »Fünf Patronenhülsen« begann. »Königskinder«, »Nackt unter Wölfen«, »Jakob der Lügner« (alle Beyer), »Wolf unter Wölfen« (Hans-Joachim Kasprzik), »Der Dritte« (Egon Günther) – Armin Mueller-Stahls weitere wesentlichen Rollen begleitete ein Attribut: Charakterdarsteller – sachliches Wort für große Kunst
In der Fernsehserie »Das unsichtbare Visier« spielte er einige Jahre lang Kundschafter im Westen. In den realen Westen ging er, nachdem er die Petition gegen die Ausbürgerung Wolfgang Biermanns unterschrieben hatte und deswegen kaltgestellt wurde. Ihm blieb nichts als eine »Scheidung« (A. M.-St.), wie man einen Ehepartner verlässt, mit dem man gute und schlechte Tage hatte und sich um Verbundenbleiben bemühte. Mangelnde Begabung zur fraglosen Anpassung – ein Charakterzug Mueller-Stahls von Kindheit an. Im mehrjährigen Dauerzustand erzwungener Wartezeit, »Verordneter Sonntag«, in der Zeit also bis zur Ausreise seinen (autobiografischen) Roman zu schreiben, half ihm beim quälenden Ablösungsprozess. Immerhin schon 50-jährig war der DDR-Star, als er in einer neuen Welt Fuß fassen musste.
Die Biografie eines langen Lebens der Erfolge erzählt man immer von ihrem Ende her, vom Jetzt. Hat dasjenige im Blick, was das Gewordene ist, betrachtet Scheitern, Fahren auf Nebengleisen, Misslungenes als Mulch, der, Abfall nur, doch nahrungskräftig den Stamm umgibt. Aber das Leben ist kein Garten, jedes Unglück, jede Enttäuschung, jeder Verlust gehören quasi gleichberechtigt dazu. Der Komet am internationalen Kino-Himmel Mueller-Stahl – er hat einen Schweif.
Gern sucht man all das einen Menschen später so deutlich Charakterisierende in den Prägungen der Kindheit, der Jugend. Armin Mueller-Stahl, geboren am 17. Dezember 1930 in Tilsit, wuchs in einer kunstliebenden Familie auf. Das Ostpreußische hat er ein wenig gerettet, in zumindest die Wahl seiner Wohnorte: immer mit freiem Blick auf Weite und Wasser. Heute lebt er in Los Angeles und an der Ostsee. Vielleicht haben sich aus seinen landschaftlichen und Mentalitätswurzeln die Züge seines Zugehens auf andere Menschen gespeist: freundlich zugewandt, höflich, würdevoll distanziert. Und beim Arbeiten die für manche als Arroganz oder Panzerung aufgefasste überlegte Selbstzucht. Die Ernsthaftigkeit beim Arbeiten, die Zurückhaltung emotionaler Affekte, das Desinteresse an äußerem Glanz.
Zwei Biografien über Armin Mueller-Stahl sind bereits geschrieben worden, um große Teile erweitert erschienen sie in diesem Jahr neu. Ein außergewöhnlicher Lebenslauf zwischen zwei mal zwei Buchdeckel geklemmt, Annäherungen an einen Uneitlen. In beiden am ausführlichsten die Beschreibungen der Lebenskapitel der letzten drei Jahrzehnte. Dazu gehört die Begegnung mit einem der wichtigsten deutschen Regisseure, mit Rainer Werner Fassbinder (»Lola«, »Die Sehnsucht der Veronika Voss«). Dass er Angebote wie den Professor Brinkmann in der »Schwarzwaldklinik« ablehnte, auch an »Der Alte« nicht interessiert war – nicht festgelegt sein wollen, nicht eingeengt, auch das war immer schon ein Grundzug seines Charakters. Mangelnde Begabung: es sich leicht zu machen. Dass er nicht mehr ans Theater zurück wollte, ihn selbst ein Mackie Messer am Wiener Burgtheater nicht reizte. Stattdessen ihn befriedigende Rollen bei Herbert Achternbusch, Alexander Kluge, Hans-Christoph Blumenberg annahm. Agnieszka Holland, István Szabó, Andrzej Wajda, Patrice Chéreau ihn besetzten. Hoher Anspruch an seine Arbeit hieß auch: Für Nebenrollen war sich Mueller-Stahl nie zu schade. Partner guter Schauspieler zu sein, Freundschaften, die aus dem Kennenlernen bei der Arbeit entstanden, das war ihm wichtiger als der Kassenerfolg eines Films.
Für diejenigen, denen Hollywood-Meriten die höchste Messlatte sind, zählt die Tatsache, dass Mueller-Stahl in den USA – und schon in fortgeschrittenem Alter – eine dritte außerordentliche Karriere machte, zum Bemerkenswertesten seiner Filmo- und Biografie. Als Vater Helfgott in »Shine« zum Beispiel (Oscar-Nominierung), als polnisch-jüdischer Großvater in »Avalon« oder – eine seiner schönsten Rollen – als Taxifahrer in Jim Jarmuschs »Night on Earth«: über achtzig Filme in Hollywood, für manchen mehr als ein ganzes Leben.
Es entwickelte sich ein breites Ausdrucksrepertoire, von intellektueller Eleganz bis zu Unheimlichkeit und Undurchschaubarkeit. Selten nur hatte der gern auch Entertainernde Gelegenheit, seine Lust am Komischen auszuspielen. Glanzlichter der Schauspielkunst in den letzten Jahren, in der Öffentlichkeit besonders stark wahrgenommen: Thomas Mann, russischer Mafia-Chef (»Tödliche Verbrechen«), Kardinal im Vatikan (»Illuminati«), Ex-Stasi-General (»The International«), der alte Buddenbrook. Ein US-amerikanischer Kritiker schrieb einmal: »Armin Mueller-Stahl ist einer der Schauspieler mit so viel Klasse und Stil, daß ich ihm auch gern zusähe, wie er an der Bushaltestelle wartet.«
Immer schon hat Mueller-Stahl Aufzeichnungen über sein Leben gemacht, und so ist er auch ein Geschichtenerzähler von hohem literarischem Vermögen geworden. Mangelnde Begabung: nur eine der Künste zu betreiben. Die Geige war stets dabei, »ist mein Freund«. Eben hat er zusammen mit Günther Fischer seine erste CD herausgebracht, die Lieder und Gedichte sind eine wundervolle Autobiografie. Die Lust am Schauen, am Beobachten: Er hat sie auch bildnerisch ausgelebt – anfangs nur so für sich –, inzwischen ist er ein anerkannter Zeichner und Maler, dem es an Begabung selbst zum Regisseur nicht mangelte und für den jetzt die bildende Kunst und die Musik die Hauptrollen spielen.
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