Beschäftigte erwarten Zuschläge
Aufschwung trifft nicht alle / Lohndruck durch Niedriglohn bleibt
Im Zeichen des Aufschwungs erwarten die meisten Arbeitnehmer in Deutschland im kommenden Jahr kräftige Einkommenszuwächse. Knapp zwei Drittel (64 Prozent) halten zudem die aktuellen Lohnforderungen der Gewerkschaften für gerechtfertigt. Angesichts der anziehenden Konjunktur rechnet laut »Handelsblatt« jeder dritte Befragte mit einem Gehaltsplus von 2,5 bis 5 Prozent, wie eine repräsentative Umfrage der Agentur Faktenkontor und des Marktforschers Toluna ergab.
Parallel nimmt die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ab, wie eine weitere Umfrage von Forsa im Auftrag des Finanzvertriebs AWD ergab. Derzeit hätten nur noch zwölf Prozent der Erwerbstätigen Sorge, dass sie im kommenden halben Jahr ihren Job verlieren könnten, hieß es. Auf dem Höhepunkt der Krise im Sommer 2009 hatte noch mehr als ein Fünftel der Befragten befürchtet, bald ohne Arbeit zu sein.
Noch haben die Tarifforderungen der Gewerkschaften nicht ganz das Vorkrisenniveau erreicht: Zwischen fünf Prozent bei Textil und bis zu sieben Prozent bei der boomenden Chemieindustrie werden derzeit von den Gewerkschaften aufgerufen. Die Inflation wird im kommenden Jahr bei etwa 1,2 Prozent erwartet. Die Lücke werde dafür sorgen, dass auch tatsächlich mehr Geld in den Taschen der Leute landet, sagt zum Beispiel Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.
Ob das zusätzliche Geld wie von den Ökonomen erhofft in zusätzlichen Konsum fließt, ist zumindest fraglich: Knapp jeder Dritte würde zusätzliches Geld in eine bessere Altersvorsorge investieren. Einen aufwendigeren Lebensstil planen 18 Prozent, wie aus der Umfrage weiter hervorgeht. Knapp jeder Vierte denkt demnach darüber nach, ein mögliches Lohnplus in eine Urlaubsreise zu investieren.
Bei den Alternativen zu mehr Geld auf dem Konto steht ebenfalls die Altersvorsorge hoch im Kurs: Statt einer Gehaltssteigerung könnten sich 28 Prozent der Bundesbürger mit einer verbesserten betrieblichen Altersvorsorge anfreunden. 22 Prozent setzen auf berufliche Weiterbildung und knapp jeder Dritte findet, es gebe keine Alternative zu mehr Geld vom Arbeitgeber.
An der allgemeinen Entwicklung werden längst nicht alle Arbeitnehmer teilnehmen, warnt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung. Die Lohnentwicklung werde die schwachen Zuwachsraten des vergangenen Jahrzehnts nur langsam hinter sich lassen, meint IMK-Direktor Gustav A. Horn. Gründe dafür seien der anhaltende Lohndruck durch die schwach regulierte Leiharbeit, Minijobs und Arbeitsmarktreformen. Im gesamtwirtschaftlichen Schnitt sei 2011 nur mit effektiven nominalen Lohnzuwächsen von 1,6 Prozent pro Stunde zu rechnen. Das reiche nicht, um einen Konsumboom zu entfachen.
Zunehmend mehr Menschen versuchen daher, ihr Einkommen mit einem Nebenjob aufzubessern. Nach der Forsa-Umfrage ergänzen 15 Prozent der Erwerbstätigen ihren Hauptberuf durch eine weitere Tätigkeit, um am Monatsende finanziell besser dazustehen. Es handele sich häufig um Geringverdiener. Vor zwei Jahren hatte der Anteil der Deutschen mit Zweitjob lediglich 3,7 Prozent betragen.
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