Totgesagte kleben länger
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hofft auf kleine Wunder bei Umfragen und Wahlen
Die »Partei der Besserverdienenden«, in der Westerwelle 1994, erst 33-jährig, von Werner Hoyer das Amt des Generalsekretärs übernahm, ist wieder mal ein Sanierungsfall. Sie braucht einen Sündenbock für die drastischen Einbrüche in der Wählergunst. So wie vor 16 Jahren Hoyer und Parteichef Klaus Kinkel bietet sich heute vor allem Westerwelle dafür an. Zumal er sich vom ersten Tag seiner Parteikarriere an so gerierte, wie er es 2001 beim Düsseldorfer Parteitag im Zoff mit seinem Alter Ego Jürgen W. Möllemann in Abwandlung einer üblen Zote formulierte: »Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt. Und das bin ich.«
Personen, die Westerwelle nur zu gern an der Spitze der FDP oder im Auswärtigen Amt beerben würden, gibt es genug. Wenngleich zwei der vier »Favoriten«, die dicke Zeitungen und Montagsmagazine seltsam einmütig präsentierten – die Bundesminister Rainer Brüderle und Philipp Rösler –, kaum das Zeug dazu hätten und ihre Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vermutlich nicht allzu scharf darauf ist. Im Gegensatz zu FDP-Generalsekretär Christian Lindner und Entwicklungsminister Dirk Niebel. Nur: Lindner ist zwar eloquent und gebildet, aber erst knapp 32 und seit drei Jahren in der FDP-Spitze. Niebel hingegen, der Sprücheklopfer, ist Westerwelle zu ähnlich, als dass ihn derzeit eine Mehrheit der Liberalen als Alternative, geschweige denn als »Hoffnungsträger« akzeptieren könnte.
Beide hatten nach den Attacken auf den Parteichef, die von den FDP-Landesvorsitzenden Wolfgang Kubicki (Kiel) und Jörg-Uwe Hahn (Wiesbaden) gestartet wurden, zunächst geschwiegen. Das mag für Westerwelle bedrohlicher geklungen haben als die Klagen liberaler Wahlkämpfer in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, er sei für sie nur noch ein »Klotz am Bein«. Und manchen verführte das, Westerwelle schon als erledigt abzuschreiben.
Voreilig. Denn gerade in der Politik leben Totgesagte häufig länger. Nicht nur, weil sie an ihren Posten kleben, was Kubicki zum Vergleich mit dem Ende der DDR-Führung anregte. Auch Westerwelle hat sein vorhergesagtes politisches Ende schon mehrfach überlebt. So in seinen Anfangsjahren als Generalsekretär, als die Partei bei 10 von 14 Landtagswahlen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, 1998 nur noch in vier Landtagen saß und bei der Bundestagswahl mit 6,2 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhr. Oder 2002, als Westerwelle Möllemanns »Projekt 18« als Wahlziel übernahm und sogar in die Schuhsohlen prägen ließ. Damals spreizte er sich als »Kanzlerkandidat« und tönte auch im ND-Interview: »Wir gewinnen die Wahl.« Doch mit 7,4 Prozent schnitt die FDP so bescheiden ab, dass es wieder nicht für eine Koalition mit CDU und CSU reichte. Westerwelle blieb dennoch in seinen Ämtern.
Dank seiner maßlosen Wahlversprechen – Steuersenkungen, »mehr Netto vom Brutto« für alle – gingen der FDP 2009 fast 1,7 Millionen mehr Wähler als 2005 auf den Leim. Noch mehr fühlen sich nun von der Partei der Besserverdienenden schamlos betrogen. Deshalb stürzte die FDP von 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl derart ab, dass sie in Bund und Ländern nicht mehr sicher sein kann, die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen.
Im Februar und März werden die Landtage in Hamburg, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz neu gewählt. Wer sollte da vor all den Stunden der Wahrheit Westerwelle stürzen und riskieren, selbst für eine Pleite verantwortlich gemacht zu werden? Wie im Chor flöten daher seit dem Wochenende Lindner, Niebel, Brüderle sowie Birgit Homburger und Cornelia Pieper, Westerwelle habe die Unterstützung der gesamten Führung, sei der beste Wahlkämpfer der FDP und verdiene die Chance, die Partei wieder aus ihrer tiefen Krise herauszuführen.
Der Parteichef auf Abruf macht notgedrungen gute Miene zum verlogenen Spiel. Es bleibt ihm nur die vage Hoffnung auf bessere Umfragen und kleine Wunder bei den Wahlen. Nur dann könnte er vorerst FDP-Vorsitzender bleiben, das Amt geordnet an Lindner abgeben und hoffen, dass ihn Kanzlerin Merkel bis zum Ende von Schwarz-Gelb im Bund als Vizekanzler und Außenminister behält.
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