Abkommen zwischen EU und Indien droht HIV-Generika wieder zu verteuern
Stärkung des Patentschutzes hat Auswirkungen auf Nachahmerpräperate in Asien
Die EU und Indien verhandeln derzeit über ein Freihandelsabkommen. AIDS-Hilfe-Organisationen befürchten eine Stärkung des Patentschutzes für Arzneimittel. Davon wären auch die in asiatischen Ländern als Generika vertriebenen antiretroviralen Medikamente (ARV) aus Indien betroffen.
Der Kambodschaner Men Thol wurde Mitte der neunziger Jahre HIV-positiv getestet. Als traditionelle pflanzliche Heilmittel die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nicht aufhalten konnten, erhielt er antiretrovirale Präparate, mit deren Hilfe er seit sieben Jahren wieder ein halbwegs normales Leben führen kann.
Allein in Kambodscha sind etwa 40 000 Menschen auf die Behandlung mit ARV angewiesen. Indien gehört zu den größten Exporteuren, die solche Medikamente an andere Entwicklungsländer liefern. Sollte sich das Land nun mit der EU einigen, könnte dies katastrophale Folgen für die Patienten haben, warnen Aktivisten. Die Herstellung von Generika – wirkstoffgleichen Kopien von Markenmedikamenten – würde sich damit in Indien deutlich verteuern. Kambodscha, das bisher mehr als 90 Prozent der ARV aus Indien bezieht, würde durch solche Neuerungen schwer getroffen, meint Heng Ping vom unabhängigen Netzwerk Cambodian People Living with HIV/AIDS. »In Kambodscha können wir keine solchen Medikamente herstellen«, erklärt er. »Daher sind wir abhängig von der Staatengemeinschaft und den Industrieländern.«
Wenn künftig weniger antiretrovirale Medikamente zur Verfügung stünden, würden die in den vergangenen Jahren erzielten Therapieerfolge bei HIV-Positiven zunichte gemacht. Die Verbreitungsrate von HIV ist hier von zwei Prozent 1998 auf geschätzte 0,7 Prozent in diesem Jahr gesunken, wie die Nationale AIDS-Behörde (NAA) berichtete. Im gleichen Zeitraum hat die Zahl der mit ARV behandelten Patienten sprunghaft zugenommen. Laut NAA wurden 2001 lediglich 70 HIV-Infizierte auf diese Weise therapiert. Mitte diesen Jahres waren es etwa 40 000. Dies entsprach etwa 86 Prozent derjenigen, die eine solche Behandlung benötigten. Wie Vertreter von Hilfsorganisationen hervorheben, sind die Kosten für die Medikamente vor allem durch die in Indien produzierten Generika wesentlich gesunken. »Im Jahr 2000 kostete die ARV-Behandlung pro Person und Jahr rund 10 000 US-Dollar«, berichtet Heng. »Inzwischen sind wir bei 80 Dollar pro Person angekommen.«
Da viele Menschen im Land weniger als einen Dollar am Tag verdienten, sei man dringend auf Generika aus Indien angewiesen. »Wenn die Kosten zu sehr steigen, kann die Regierung die Medikamente nicht mehr kaufen.«
Die indischen Pharmaunternehmen liefern preisgünstige Nachahmerpräparate auch an andere Länder. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) erklärte, sie benötige Generika, um Patienten in 60 Staaten zu behandeln. 80 Prozent der von ihr verwendeten HIV-Medikamente stamme aus Indien. Die Nichtregierungsorganisationen Oxfam International und Health Action International werfen in einem gemeinsamen Bericht der Europäischen Union vor, »zweierlei Maß anzulegen«. Die EU kämpfe dafür, die Arzneipreise in den Mitgliedsstaaten zu senken und bewirke damit in den Entwicklungsländern das genaue Gegenteil, hieß es. Brüssel dringe auf patentrechtliche Maßnahmen, die die Interessen der Pharmaindustrie stärkten, kritisierten die beiden Organisationen. Die Chancen für einen freien Zugang zu Medikamenten in den Ländern des Südens würden dadurch eingeschränkt.
Die EU selbst versicherte unterdessen, dass potenzielle Freihandelsabkommen Indien bei dem Handel mit lebenswichtigen Medikamenten nicht behindern würden. Der EU-Handelskommissar Karel De Gucht schrieb in diesem Jahr an die Ärzteorganisation MSF, die Europäische Kommission »setzt sich vollständig dafür ein, dass die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt Zugang zu erschwinglicher Medizin haben.« Die EU sei bereit, in diesem Zusammenhang die »nötige Flexibilität« zu zeigen.
Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Gesundheit, Arnand Grover, warnte allerdings im Dezember davor, dass das geplante Abkommen mit Indien die Produktion lebensrettender Medikamente gefährden könne. Die EU und Indien wollen ihre Verhandlungen bis Frühjahr 2011 abschließen.
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