Dilma Rousseff übernahm Lulas Schärpe

Brasilien wird erstmals in seiner Geschichte von einer Frau regiert

  • Gerhard Dilger, Porto Alegre
  • Lesedauer: 3 Min.
In Brasilien leitet zum ersten Mal eine Frau die Geschicke des Landes. Wie ihr Vorgänger Lula erklärt Dilma Rousseff die Armutsbekämpfung zum obersten Ziel.

Als Dilma Rousseff am Sonnabend unweit der modernistischen Kathedrale Brasílias in den Rolls Royce stieg, der sie im Schritttempo zum Kongressgebäude bringen sollte, regnete es in Strömen. Der Begeisterung unter den 30 000 Anhängern der Arbeiterpartei (PT), die zum Amtsantritt der ersten Präsidentin aus dem ganzen Land in die Hauptstadt gekommen waren, tat dies keinen Abbruch.

Gemeinsam mit Vizepräsident Michel Temer von der verbündeten Zentrumspartei PMDB legte die 63-jährige ehemalige Guerillera im Parlament den Amtseid ab. Pünktlich hellte es auf, was ihr doch noch eine Runde im offenen Wagen ermöglichte. Dann schritt Rousseff im weißen Kostüm die Rampe zum Planalto-Präsidentenpalast hoch und fiel ihrem politischen Ziehvater Luiz Inácio Lula da Silva in die Arme. Der frühere Gewerkschafter, der nach acht Jahren mit einer Rekordzustimmung von 87 Prozent aus dem Amt schied, legte seiner Parteifreundin die grün-gelbe Amtsschärpe um.

Rousseff kündigte an, sie werde Lulas sozialen Kurs fortsetzen. »Der hartnäckigste Kampf meiner Regierung wird es sein, die absolute Armut abzuschaffen«, sagte die Ende Oktober mit 56 Prozent gewählte Präsidentin. Trotz umfangreicher Sozialprogramme in den vergangenen Jahren leben immer noch 18 der 190 Millionen Brasilianer im Elend. Sie werde den Sozialstaat mit öffentlicher Altersvorsorge und Basisdiensten für alle ausbauen, versprach Rousseff. Brasilien habe das Zeug, eine der »am meisten entwickelten Nationen mit den geringsten sozialen Unterschieden zu werden, ein Land mit einer soliden Mittelschicht voller Tatendrang«.

Besonderes Augenmerk will die Präsidentin der Verbesserung von Bildungs- und Gesundheitswesen sowie der Sicherheitslage widmen. Das dafür erforderliche Wachstum dürfe aber nicht auf Kosten der Umwelt gehen, beteuerte Rousseff: »Es ist unsere heilige Mission, der Welt zu zeigen, dass ein Land rasch wachsen kann, ohne die Umwelt zu zerstören.« Brasilien wolle »Weltmeister der sauberen Energien« bleiben. Neben Wind- und Solarkraft gehören in Rousseffs Lesart dazu auch Agrotreibstoffe und Wasserkraft aus Großstaudämmen.

Dilma Rousseff übernimmt ein Land, in dem seit 2003 gut 20 Millionen Menschen in die Mittelschicht aufgestiegen sind. Überdies wurden vor der Küste große Ölvorkommen entdeckt. Dank einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik mit wachsenden Staatsausgaben meisterte Brasilien die Weltfinanzkrise bislang gut. Stabilität mit ausgeglichenem Haushalt und niedriger Inflation bleibe für sie »ein absoluter Wert«, betonte die Staatschefin. Doch Ökonomen verweisen auf eine überbewertete Währung und Mängel der Infrastruktur.

Auch außenpolitisch setzt Rousseff auf Kontinuität – Annäherung an die Nachbarn in Südamerika und Multilateralismus. Bezeichnend war ein kurzer Plausch zwischen USA-Außenministerin Hillary Clinton und Venezuelas Staatschef Hugo Chávez am Rande der Zeremonien zur Amtsübernahme. »Es war ein sehr angenehmer Moment, aber wir haben ihn auch dazu genutzt, um über zwei, drei aktuelle Themen zu sprechen«, sagte Chávez danach. Venezuela will den neuen Botschafter der USA nicht anerkennen.

Dilma Rousseff bekennt sich zu ihrem Kampf gegen die Militärdiktatur (1964-85). Als Studentin war sie festgenommen und gefoltert worden. Nun lud sie demonstrativ elf Frauen ein, die einst mit ihr eingekerkert waren. Von 37 Ministern in ihrem Kabinett sind neun Frauen – der höchste Frauenanteil in der Geschichte Brasiliens. Eine heikle Entscheidung nahm Lula seiner Nachfolgerin noch am Freitag ab: Er verweigerte die Auslieferung des früheren Linksextremisten Cesare Battisti, der in Italien wegen mehrfachen Mordes verurteilt ist. Wegen seiner Vergangenheit als politischer Aktivist drohe Battisti in Italien eine »Verschärfung der Lage«, wurde in Brasilien argumentiert. Aus Protest legte Rom ein Rüstungsgeschäft auf Eis.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.