Das trauen die Leute der SPD zu
Hamburgs SPD-Fraktionschef Neumann hat Vorbehalte gegenüber der LINKEN abgelegt, schließt aber Koalition aus
ND: Zum ersten Mal seit 1997 geht die Hamburger SPD wieder als Favoritin in eine Wahl – Grund zur Euphorie oder eine ungewohnte Bürde?
Neumann: Es gibt gute Umfragen, aber es sind nur Umfragen. Ich habe selbst erlebt, wie schnell die Stimmung in Hamburg sich verändern kann. Wir haben ein hartes Stück Arbeit vor uns und merken den Druck und die Erwartungshaltung. Die Probleme, die die Stadt hat und auf die wir antworten wollen, sind eine Bürde – aber eine schöne Bürde.
Was kann SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz besser als die CDU-Ministerpräsidenten von Beust und Ahlhaus?
Viele Hamburger erwarten, dass die Stadt wieder anständig regiert wird. Das trauen die Leute Olaf Scholz und der SPD zu. Der Senat hat auf Zuckergussprojekte gesetzt – wie die Elbphilharmonie. Im Eiskunstlauf wäre das die Kür. Aber der Senat hat die Pflicht vernachlässigt. Er hat nicht dafür gesorgt, dass die Stadt funktioniert: Das betrifft die Fragen der Bezahlbarkeit von Wohnraum oder von Kinderbetreuung und Kindererziehung.
Welches sind die SPD-Themenschwerpunkte im Wahlkampf?
Wir wollen eine starke Wirtschaft mit einem starken Hamburger Hafen. Da haben wir Probleme mit unseren niedersächsischen Nachbarn, die diese Frage zu einem Thema im Kommunalwahlkampf machen. Bei allem Respekt: Die für Hamburg existenzielle Frage der Elbvertiefung darf nicht abhängig sein von Entscheidungen in Landgemeinden. Auf der Grundlage einer starken Wirtschaft wollen wir in die soziale Infrastruktur investieren. Der Fokus liegt auf dem Ausbau des Ganztagsschulsystems, verbunden mit Kinderbetreuung. Erster Schritt wird die Rücknahme der Kita-Gebührenerhöhung sein. Wir wollen die gesetzlich garantierte Kita-Betreuung kostenfrei machen. Dafür brauchen wir erstmal einen Kassensturz. Gleiches gilt für die Studiengebühren, die ich aus tiefem Herzen für grundfalsch halte. Ich bin ein typisches Produkt sozialdemokratischer Bildungspolitik. Meine Eltern haben mit 14 Jahren ihren Volksschulabschluss gemacht, ich bin der erste der Familie mit Abitur. Ich hätte nicht studieren können, wenn ich die heute üblichen Studiengebühren hätte zahlen müssen.
Ihr Ziel ist eine Renaissance von Rot-Grün, das diese Stadt von 1997 bis 2001 regiert hat: Damals beschwerten sich die Grünen oft, von oben herab behandelt worden zu sein. Warum sollte es ab 2011 besser laufen?
Darin steckt viel Legendenbildung, aber auch innere Begründung der GAL, warum sie dann 2008 mit der CDU koaliert hat. Wenn mir Grüne-Bürgerschaftsabgeordnete Anfang 20 erzählen, wie es damals gewesen ist, finde ich das bemerkenswert und fast schon putzig. Aber mal im Ernst: Die Personen, die jetzt zusammenarbeiten würden, entstammen einer ganz anderen Generation. GAL-Fraktionschef Jens Kerstan und ich verstehen uns auch persönlich sehr gut. Das ist sicher nicht vergleichbar mit dem Verhältnis, das etwa Eugen Wagner zur GAL hatte. Die SPD hat sich aus der Erfahrung der Niederlage heraus wirklich verändert.
Hat sie die Arroganz der Macht abgelegt?
Der Grat zwischen gesundem und vernünftigem Selbstbewusstsein und Arroganz ist sehr schmal. Die Haltung, dass die SPD nur einen Besenstiel aufstellen muss, um gewählt zu werden, führte vielleicht auch dazu, dass man nicht mehr zugehört hat. Dass man gemeint hat, immer klüger zu sein als die Menschen. Wir haben dafür nach 44 Jahren unsere Quittung erhalten.
Mit dem derzeitigen Bürgermeister Ahlhaus fremdeln viele Hamburger, er gilt als Import aus Heidelberg. Wie wichtig ist die lokale Verwurzelung des Bürgermeisters in einer Stadt, die sich »Tor zur Welt« nennt?
Diese Frage stellen Sie einem gebürtigen Dortmunder ... Ich habe oft gehört: Michael, wenn du hier etwas werden willst, solltest du nicht zu häufig sagen, dass du aus Dortmund kommst und katholisch bist. Im Ernst: Man muss wissen, wie die Stadt tickt. Man muss nicht in Hamburg geboren sein, um ein Fingerspitzengefühl für die Stadt zu entwickeln. Wie Hamburg tickt, wird durch die öffentliche Reaktion auf den missratenen Boulevard-Auftritt von Herrn Ahlhaus und seiner Frau deutlich.
Die sich für eine Geschichte in der »BUNTE« als herrschaftliches Paar inszenieren ließen ...
Ja. Und dieser Auftritt beweist, dass Herr Ahlhaus das Fingerspitzengefühl für die Stadt eben nicht hat. Da kann man nur den ehemaligen Bürgermeister Peter Schulz zitieren: So etwas tut man nicht. So etwas mag in Süddeutschland gut ankommen, wie man an den zu Guttenbergs erlebt. Die norddeutsche Lebensart ist aber nicht barock, sondern eher lutherisch-calvinistisch. In Hamburg gibt es andere Traditionen und Eigenarten als in München.
Zurück zur Politik. Die LINKE hat Rot-Grün im Vorgriff schon einmal getestet und einen Antrag zur Abschaffung von Studiengebühren gestellt, den Sie gemeinsam abgelehnt haben. Ist eine Koalition mit der LINKEN ausgeschlossen?
Die Diskussion hat sich erledigt. Linkspartei-Fraktionschefin Dora Heyenn hat erklärt, dass sie für eine Koalition nicht zur Verfügung steht. Olaf Scholz hatte schon zuvor gesagt, dass wir keinen rot-rot-grünen Senat bilden werden. 2008 hat unser Spitzenkandidat Michael Naumann Rot-Rot-Grün ausgeschlossen und danach gehandelt. Es haben uns GAL-Politiker damals angeboten, über Rot-Rot-Grün zu verhandeln. Aber wir halten unser Wort.
Gab es nun erneut solche Angebote?
Es gab seitens der Linkspartei die Idee, darüber zu sprechen. Aber da wir so etwas 2008 ausgeschlossen hatten, kam das für die SPD nicht in Frage. Wir lügen nicht.
Welche Erfahrungen haben Sie mit der LINKEN gesammelt?
Ich habe viele Vorbehalte gegenüber der Linkspartei abgelegt. Ich habe die Kollegen als verlässliche, vernünftige und kluge Abgeordnete kennengelernt. Es gibt zahlreiche inhaltliche Übereinstimmungen in der Sachpolitik. Bei der Finanzierung gibt es Differenzen. Die Linkspartei ist zu respektieren. Sie eignet sich nicht zum Feindbild.
Ein Buch, das Sie herausgegeben haben, trägt den Titel »Menschliche Metropole«. Wie sieht die aus Ihrer Sicht aus?
Es geht um einen Dualismus: einerseits ökonomisch erfolgreich und ökologisch nachhaltig zu sein und damit das Geld zu erwirtschaften, um andererseits in Bildung und sozialen Fortschritt zu investieren. Zugespitzt: Weniger Elbphilharmonie, mehr Ganztagsschulen.
Sie fordern »Mut zur Vision«. Ist das Ihre Vision von Hamburg?
Dieses Zitat knüpft an den Satz von Helmut Schmidt an: »Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.« Bei aller Bewunderung für Helmut Schmidt: Hier traue ich mich, ihm zu widersprechen: Wir müssen auch Visionen haben, zumindest Vorstellungen, wie sich unsere Stadt entwickeln soll. 25 Prozent Schulabbrecher sind eine Katastrophe. Das kann man neoliberal diskutieren als »Verlust von Humankapital«. Als Sozialdemokrat und auch als Christ sehe ich hier ein Menschenrecht. Das ist vielleicht keine Vision wie in den 1960er Jahren, aber es ist eine klare Vorstellung von einer gerechten Stadt, die allen Menschen eine Chance bietet, egal ob Max oder Murat. Es ist aber nicht unmenschlich, da auch einen gewissen Druck auszuüben. Großbritannien hat das ganz faszinierend gemacht und manchem Hauptschüler beim Abschluss einen iPod oder 500 Pfund in bar in Aussicht gestellt – die Zahlen gaben dieser externen Motivation Recht. Über unkonventionelle Wege nachzudenken, kann nicht schaden. Hamburg war immer eine Stadt, die für ihren Erfolg auch woanders abgekupfert hat.
Michael Neumann wurde am 18. März 1970 in Dortmund geboren. Nach dem Abitur studierte er an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg Politologie und war 1996 bis 2010 Berufssoldat. Neumann ist seit 1997 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und seit 2004 Vorsitzender der SPD-Fraktion. Neumann gilt bei einem Wahlerfolg der SPD als sicherer Kandidat für einen Senatorenposten.
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