Gegenwind auf dem Capitol Hill
Heute konstituiert sich in Washington der neue USA-Kongress
Es soll in den nächsten Tagen trüb und kalt werden in Washington. Dieser Wetterbericht klingt wie eine politische Prognose für die zweite Hälfte der Amtszeit Barack Obamas, denn mit der Konstituierung des neuen Kongresses auf dem Capitol Hill verstärkt sich auch der Gegenwind für den Präsidenten. Der Kongress ist das Parlament der Vereinigten Staaten. Seine wichtigsten legislativen Aufgaben sind laut Artikel I, Absatz 1 der Verfassung die Gesetzgebung auf Bundesebene sowie das Haushaltsrecht und die Kontrolle der Exekutive (Präsident, Regierung, Geheimdienste). Die Volksvertretung besteht aus zwei Kammern – dem Repräsentantenhaus und dem Senat. In Letzterem stellt jeder Bundesstaat zwei Mitglieder, die für sechs Jahre direkt gewählt werden. Alle zwei Jahre wird ein Drittel der Senatoren neu bestimmt. Die Demokraten bringen es nach ihrem Wahldebakel noch auf 53 Mandate – unter Einschluss von zwei Unabhängigen, die mit ihnen eine Fraktionsgemeinschaft bilden. Die Republikaner nehmen nun 47 Sitze ein, sechs mehr als bisher.
Im Abgeordnetenhaus mit seinen 435 Sitzen sind die 50 Bundesstaaten der USA gemäß ihrer Bevölkerungszahl repräsentiert. Nach dem jüngsten Urnengang verfügen die Konservativen hier über 242 Mandate, die Demokraten sind mit 193 Abgeordneten vertreten. 63 Sitze haben die Republikaner der Präsidentenpartei abgenommen – das hat es seit 1948 nicht mehr gegeben. Mit dieser massiven Mehrheit können sie erstmals seit 2006 wieder in der großen Kongresskammer das Zepter schwingen. Es liegt nun in der Hand von John Boehner, dem neuen Sprecher des Repräsentantenhauses.
Bundesgesetze müssen allerdings von beiden Häusern gebilligt werden. Im Fall gegensätzlicher Auffassungen wird ein Kompromiss im Vermittlungsausschuss gesucht. Der Präsident spricht nur ein Mal im Jahr zu Abgeordneten und Senatoren, wenn er über die »Lage der Nation« berichtet. Und die Republikaner wollen schon Zeichen setzen, bevor Obama das in der zweiten Januarhälfte wieder tut. So soll noch vor Beginn der eigentlichen Arbeit am Donnerstag im Repräsentantenhaus die gesamte Verfassung verlesen werden, ein Novum in der Parlamentsgeschichte. Künftig muss jeder Gesetzentwurf in dieser Kammer ausdrücklich ausweisen, dass er mit der Verfassung vereinbar ist. Das Repräsentantenhaus sei »zu einem Außenposten für das amerikanische Volk und seinen Wunsch nach einer Regierung geworden, die kleiner, weniger kostspielig und verantwortlicher ist«, verkündete Boehner.
Die kontroversesten Debatten der neuen Legislaturperiode wird es wohl um die Sozialprogramme geben. So haben Konservative schon der von Präsident Obama auf den Weg gebrachten Gesundheitsreform den Krieg erklärt. Mit ihr soll vor allem sichergestellt werden, dass über 40 Millionen Menschen, die im Krankheitsfall bislang ohne Schutz waren, künftig versichert sind. Das Aus für dieses Vorhaben habe Top-Priorität, betonte Fred Upton, der im Kongress künftig das wichtige Komitee für Energie und Handel leiten wird. Gehe das wegen des Vetorechts Obamas nicht auf einen Schlag, werde man das innenpolitische Kernstück seiner bisherigen Präsidentschaft Stück für Stück demontieren. Michele Bachman, Abgeordnete aus Minnesota und eine der Sprecherinnen der einflussreichen ultrakonservativen Tea-Party-Bewegung, ist sich sicher, dass die Bürger von den Republikanern den Todesstoß für diese Reform erwarteten.
Aber auch auf ökologischem Gebiet planen die Republikaner die Rolle rückwärts. Wie Upton in der Fernsehsendung »Fox News Sunday« betonte, werde man alle Maßnahmen der Umweltbehörde EPA bekämpfen, neue Emissionsstandards beim Ausstoß des Treibhausgases CO2 zu setzen. Schließlich droht Obama bei der Umsetzung seiner im Vorjahr verabschiedeten Finanzmarktreform Widerstand der Konservativen. Sie wollen beispielsweise keine Gelder für neue Mitarbeiter der Börsenaufsicht freigeben, wie der Vorsitzende des zuständigen Unterausschusses im Repräsentantenhaus, Randy Neugebauer, am Dienstag erklärte.
Fühlte sich Barack Obama Ende November bei einem Treffen mit Spitzenvertretern der Republikaner zur künftigen Zusammenarbeit durch die »zivile Atmosphäre« noch ermutigt, schien die folgende Ratifizierung des START-Vertrages diese Hoffnung zu bestätigen, so stehen die Zeichen inzwischen klar auf Konfrontation. Nicht nur die »New York Times« fürchtet einen »fiskalischen Showdown« um jeden Haushaltsposten. Mitch McConnell, Senator aus Kentucky, hat das Ziel der neuen republikanischen Macht in Washington definiert: Es gehe einzig darum, eine zweite Amtszeit Barack Obamas zu verhindern. Allerdings muss sich erst noch zeigen, ob das allein mit einer rigorosen Blockadepolitik zu bewerkstelligen ist. Die Vorvorwahlsaison beginnt schon in sieben, acht Monaten.
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