Fiat-Vertrag gefährdet Tarifsystem

Nach Sondervertrag beim Autobauer streiten Italiens Gewerkschaften

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Ende 2010 abgeschlossene Fiat-Vertrag sorgt für Panik in der zerklüfteten italienischen Gewerkschaftslandschaft. Kritiker des Abkommens, über das die Beschäftigten im Februar abstimmen sollen, fürchten ein Ende des Flächentarifs in Italien.

Nun ist auch der zweite Fiat-Vertrag unter Dach und Fach. Die Gewerkschaften FIM, UILM, UGL und FISMIC haben in Pomigliano d’Arco (Neapel) mit der Turiner Werksleitung ein Abkommen geschlossen, das dem für den Standort Mirafiori in Turin vereinbarten gleicht. Nur zwischen Konzern und Arbeitern, außerhalb des nationalen Tarifvertrages, ohne den Unternehmerverband Confindustria.

Die unterzeichnenden Gewerkschaften sehen den Vertrag als Vernunftserfolg, der 4600 Arbeitsplätze sichern soll. Für die außen vor bleibende Gewerkschaft FIOM – die Automobilbauervertretung der CGIL – sind die Vereinbarungen der Anfang vom Ende der Gewerkschaftsbewegung: Die Arbeiter könnten nicht mehr entscheiden, welche Gewerkschaft sie vertreten soll, sondern nur noch zwischen »zugelassenen« Gewerkschaftsvertretungen. So, sagen die Kritiker, mache man sich zum verlängerten Arm der Werksleitung.

Streikrecht gebe es in Zukunft bei Fiat nicht mehr, ein Einschnitt in verfassungsmäßige Rechte, wettert die CGIL. Drastische Worte fand auch der Präsident des Zentralkomitees der FIOM, Giorgio Cremaschi. Die Chefs von CSIL und UIL, Raffaele Bonnani und Luigi Angeletti, seien eine Schande. Sie hätten sich von der demokratischen Gewerkschaftskultur verabschiedet. »Wir sind endgültig in der Zeit der ›Padroni‹ von Berlusconi bis Marchionne angekommen«, erklärte Cremaschi verbittert.

Nach wie vor weigert sich die Metallgewerkkschaft FIOM, dem von Fiat-Chef Sergio Marchionne diktierten Spezialvertrag für die beiden Produktionsstätten zuzustimmen. Die Begründung des FIOM -Chefs Maurizio Landini: »Diese Verträge bedeuten das Ende der gewerkschaftlichen Souveränität. Und es kann nicht angehen, dass die größte Vertretung der Metallarbeiter davon ausgeschlossen werden kann.« Landini wiederholte seine Streikankündigung für den 28. Januar.

Fiat-Chef Sergio Marchionne hat seine Vorstellungen von einem prosperierenden Unternehmen mit eisernen Willen durchgesetzt. Er ignoriert frühere Vereinbarungen, nach denen es reichte, wenn fünf Prozent der Belegschaft eines Betriebes sich bei einer Gewerkschaft einschrieben, damit sie im Werk vertreten sein konnte.

»Mit den Verträgen, die Fiat geschlossen hat, betreten wir in Italien Neuland«, glaubt der Industriesoziologe von der römischen Universität Sapienza, Aris Accornero. »Zum ersten Mal wird eine Gewerkschaft aus einem Vertrag ausgeschlossen, aber auch erstmalig ist der Unternehmerverband Confindustria nicht einbezogen.«

Die Folgen sind nicht absehbar. Sollte das Beispiel in anderen großen Industriebetrieben Schule machen, wäre tatsächlich der nationale Tarif der Metallarbeiter in Gefahr. Es drohe eine Entsolidarisierung der Gewerkschaften untereinander, ja die Auflösung der Gewerkschaftsbewegung überhaupt, fürchten die Skeptiker. Die Unterzeichner hingegen wollen nur Arbeitsplätze im Kopf gehabt haben. Dem schlossen sich auch Vertreter der oppositionellen Demokratischen Partei an, während von deren Basis Kritik laut wird.

Am 13. und 14. Januar stimmt die Belegschaft von Mirafiori über den Vertrag ab. Die Befürworter sagen sich selbst 80 Prozent Zustimmung voraus. Giorgio Airaudo von der FIOM hingegen erklärt: »Es ist ein Abstimmen mit der Angst der Leute – entweder ich unterschreibe oder mein Arbeitsplatz ist weg. Das ist das Ende jeder Demokratie.« Er halte die Drohung, das Werk zu schließen, falls keine Zustimmung vorliege, für bloße Demagogie. All das wird sich zeigen müssen. Foto: AFP

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