Zerstörter Schutz

  • Elisabeth Schroedter
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Autorin ist Europaabgeordnete (Grüne) und Vizepräsidentin des Ausschusses für Beschäftigung und Soziales im Europäischen Parlament.
Die Autorin ist Europaabgeordnete (Grüne) und Vizepräsidentin des Ausschusses für Beschäftigung und Soziales im Europäischen Parlament.

Was passierte wohl auf unseren Straßen, wenn die Regel »Bei Rot bleibe stehen, bei Grün kannst du gehen!« für jeden Verkehrsteilnehmer eine Ausnahme zuließe?

Die Regel hätte sich erübrigt, im dichten Berufsverkehr herrschte Chaos, die schwächsten Verkehrsteilnehmer wären ohne Schutz ständig dem Risiko ausgesetzt, überfahren zu werden. Man würde verständnislos den Kopf darüber schütteln, dass eine Regel zum Schutz der Schwächeren geschaffen wird, nur um sie dann mit einer Ausnahme zu versehen und damit nutzlos zu machen.

Kürzlich hat die Europäische Kommission eine neue Anhörungsrunde zur Überarbeitung der EU-Arbeitszeitrichtlinie eröffnet. Die Vorschläge, die sie den Sozialpartnern, das heißt den Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgerber, präsentierte, sind nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. Zwar behauptet die Kommission, an europäischen Minimalvorschriften des Arbeitsschutzes festhalten zu wollen. Ihre Vorschläge zielen aber erneut darauf ab, den Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Richtlinie an vielen Stellen zurückzufahren.

Die Kommission schlägt u.a. vor, dass mehr Flexibilität bezüglich der Tages- und Wochenarbeitszeit und der dazu gehörigen Ruhezeiten möglich sei. Zudem will sie zulassen, dass entgegen der Rechtssetzung des Europäischen Gerichtshofs für bestimmte Arbeitsformen Sonderregelungen gelten können. Das gefährdet in unverantwortlicher Weise nicht nur die Gesundheit der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern auch die Dritter, besonders in den zur Diskussion stehenden Sektoren Gesundheitswesen und Noteinsatz der Feuerwehr.

Die Kommission setzt dem Ganzen die Krone auf, indem sie die Möglichkeit, Übergangsweise Ausnahmen zuzulassen, das sogenannte Opting Out, für die wesentlichen Schutzregeln der Richtlinie unverändert fortschreibt. Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz kann damit in jedem Arbeitsvertrag legal umgangen werden. Als die Arbeitszeitrichtlinie 2003 in Kraft trat, war das »Opting Out« als Übergangsregelung gedacht. Die zentrale Forderung des Parlaments war immer, dass diese Übergangsregel bei der Überarbeitung der Richtlinie ausläuft. Nur so kann sichergestellt werden, dass die in der Richtlinie festgelegten Mindestregeln alle Arbeitnehmer in der EU vor Gesundheitsschäden durch Überarbeitung schützen.

Die Kommission argumentiert jetzt, dass mehr Flexibilität bezüglich Arbeits- und Ruhezeiten die »Opting-Out-Klausel« irgendwann überflüssig machen wird. De facto verdoppelt sich aber die Beliebigkeit im Arbeitsrecht, da mehr Flexibilität mit der Möglichkeit, Ausnahmen von der Richtlinie in den Arbeitsverträgen festzulegen, kombiniert wird. Für mich sind die Vorschläge ein Kniefall vor den Mitgliedsstaaten, die die Arbeitszeitrichtlinie nicht vollständig umsetzen wollen. Dazu gehört auch Deutschland. Welchen Wert hat eine solche durchlöcherte europäische Mindestvorschrift für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz noch? Der Vorschlag ist typisch für Präsident Barroso und sein Kollegium. Anstatt Initiativen für den sozialen Schutz in Europa zu ergreifen, überlässt er es den Sozialpartnern, bessere Schutzmechanismen auszuhandeln. Die Europäischen Gewerkschaften haben bereits angekündigt, dass die Streichung der Ausnahmeklausel für sie wichtigster Bestandteil der Revision ist. Darüber hinaus muss Flexibilität so gestaltet werden, dass sie nicht auf Kosten des Gesundheitsschutzes geht. Wir Grüne haben diese Position bereits im ersten Revisionsversuch vertreten und werden uns erneut dafür einsetzen.

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