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Goethe – zeitlos unverbindlich

Dresdener Schau zeigt den Dichter als Inspirator

  • Sebastian Hennig, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

Die regional ausgerichtete Sammlung des Kunstfonds der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden verfügt nicht über eigene Ausstellungsräume. Seit 2008 werden gelegentlich Werke aus dem Bestand im Goethe-Institut präsentiert. Nun steht dessen ideeller Hauspatron selbst im Mittelpunkt der Ausstellung. Drei Grafikserien, welche in Abständen von jeweils zwei Jahrzehnten durch Goethe-Jubiläen veranlasst wurden (1959, 1979, 1999), widerspiegeln den jeweiligen Zeitgeist.

Der einseitig schiefe Blick verzerrt die Figur Johann Wolfgang von Goethes (1749 bis 1832) zu unterschiedlich schrägen Abbildern. Galt der Dichter in der frühen DDR als zeitiger Verkünder sozialistischen Menschheitsglücks, so wird die westdeutsche Perspektive auf Goethe als den Europäer und Weltbürger nicht zuletzt in der Benennung der nationalen Kulturinstitute deutlich. In seinem Goethe-Aufsatz schrieb Gottfried Benn: »Es gibt Grade von Größe, die gänzlich unverbindlich sind.«

Der Dresdner Künstler Rudolf Nehmer (1912-1983) fertigte zum 210. Geburtstag Goethes im Jahr 1959 ein Dutzend Tuschezeichnungen mit plakativen Darstellungen von Menschen, die mit zeitgemäßen Gesten um den Aufbau einer besseren Lebensordnung ringen. Eigenartig starr agieren die faustischen Arbeiter der Stirn. Hammer und Ährenkranz liegen beiseite, während der Zirkel Kreis an Kreis fügt. Männer in Schlips und Kragen oder in Laborkitteln stehen an Versuchsanlagen, beugen sich über Mikroskop und Reißbrett oder blicken durch dickrandige Brillen auf Raketenmodelle. Darunter jeweils die gewaltigen Wahrsprüche des Genius. Die vereinnahmende Deutung der Dichterworte – etwa: »Jeder Fortschritt ist ein Wagestück und nur durch Wagen kommt man entschieden vorwärts« – ist derart deutlich, dass man versucht ist, stille Ironie dahinter zu vermuten.

Ein anderes Dutzend Grafiken, zwanzig Jahre darauf entstanden, wirkt weder klassisch noch progressiv. Die Kaltnadelradierungen von Andreas Dress sind introvertiert und grüblerisch. Ihre Unverbindlichkeit ist programmatisch. Die DDR-Realität anno 1979 regt den Künstler zu keinen Gesellschaftsutopien mehr an. Er bedient sich des Osterspazierganges aus der Faust-Tragödie, um sein Lieblingsthema – eilende und sich vermischende Menschenschatten – in immer neuen Durchdringungen aufzuführen. Heinrich Faust als Mensch unter Menschen löst sich im Gewimmel schließlich vollends auf, wie der Eiszapfen in der Sonnenwärme. Er wird so unters Pack gestoßen, wie Mephistopheles sagt.

Goethe bemaß die Zeit des persönlichen Andenkens auf fünfzig Jahre nach dem Ableben eines Menschen, danach werde er entweder vergessen oder lebe in der Legende weiter. 1999, also 250 Jahre nach seiner Geburt, waren die Legende von Goethe und seine unsterblichen Verse Gegenstand der Mappe »Gleichnisse«, welche die Sächsische Akademie der Künste von 30 Mitgliedern aus den verschiedenen Klassen zusammentrug.

Die zehn bildkünstlerischen Beiträge daraus sind ausgestellt. Max Uhlig, Michael Morgner, Ulrich Lindner und Gotthard Graubner etwa ist mit ihren Grafiken weniger an Goethes Weltsicht oder Dichtung gelegen. Eher geht es ihnen um die Etablierung ihrer eigenen bildnerischen Alleinstellungsmerkmale in Aufmerksamkeit erheischendem Zusammenhang: Tachistische Strichlagen, archaische Umrisse, nostalgisch-grobkörnige Fotografik und monochrome Farbfelder werden unbeirrt vom Anlass abgespult.

Eberhard Göschel formiert die raffinierten Mikrostrukturen seiner Aquatinta-Radierung immerhin zu einem Goetheschen Zwischenkieferknochen. Und das Blatt des besungenen Ginkgo-Baumes kehrt unverhüllt in seiner auffälligen Gestalt in der Radierung von Strawalde wieder.

Etwas stupide blickt Goethe in Gestalt eines bronzierten Gipskopfes vom Bildhauer Walter Zschorsch inmitten all der Kunstblätter, die man ihm posthum angeheftet hat – als hätte er selbst nicht genügend hervorgetrieben. Das geistige Kidnapping von Goethe-Worten wird wohl auch zu den nächsten Jubelfeiern zu beklagen sein.

»DICHT-KUNST. Goethes Werk als Inspirationsquelle«. Eine Ausstellung des Kunstfonds im Goethe-Institut Dresden, bis 8. April 2011, Mo-Fr 8-18 Uhr.

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