Springende Gene

Vor 100 Jahren wurde die US-Biologin Barbara McClintock geboren

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Bevor eine bedeutende wissenschaftliche Entdeckung mit dem Nobelpreis honoriert wird, vergehen im Schnitt etwa zehn Jahre. Bei der US-Biologin Barbara McClintock indes hat es mehr als 30 Jahre gedauert. Das lag vor allem daran, dass ihre Forschungsarbeiten über »bewegliche Strukturen in der Erbmasse«, für die sie 1983 den Medizin-Nobelpreis erhielt, von Fachkollegen lange ignoriert wurden. Denn noch in den 50er Jahren waren die meisten Biologen überzeugt, dass die Erbanlagen in ein starres Gerüst von Trägermolekülen eingebunden seien. Überdies verspürten sie keine Neigung, sich nun gerade von einer Frau eines Besseren belehren zu lassen. Barbara McClintock wurde am 16. Juni 1902 in Hartford (US-Bundesstaat Connecticut) geboren. Sie studierte Botanik, Zoologie und Genetik an der Cornell University, wo sie 1927 den Doktortitel erwarb. Ab 1936 lehrte sie als Botanik-Professorin an der University of Missouri und ging 1941 an das bekannte Cold Spring Harbor Laboratorium auf Long Island, wo sie bis zum Ende ihres Lebens blieb. 1944 wurde sie als dritte Frau in die amerikanische National Academy of Sciences gewählt und übernahm noch im selben Jahr als erste Frau den Vorsitz der Genetics Society of America. Während viele ihrer Kollegen sich seinerzeit für die genetische Struktur der Drosophila-Fliege interessierten, untersuchte McClintock die Erbanlagen der Maispflanze. Dabei fiel ihr auf, dass sich die Färbung der Körner in der Generationenfolge regellos veränderte, wofür es in der klassischen Genetik keine Erklärung gab. Nach akribischer Analyse der Experimente gelangte sie 1947 zu dem Schluss, dass die »gewöhnlichen« Gene (Strukturgene), die etwa die Farbe der Maiskörner bestimmen, durch so genannte Kontrollgene in der Zelle an- und abgeschaltet werden. Diese Kontrollgene sind beweglich und können auf den Chromosomen von einem Ort zum anderen springen und so andere Strukturgene beeinflussen. 1951 sprach sie auf einem Symposium in Cold Spring Harbor zum ersten Mal öffentlich über ihre Ideen. Doch sie erntete nur eisiges Schweigen. Auch ein zweiter Versuch 1956 blieb ohne Resonanz. Selbst die französischen Biologen Jacques Monod und François Jacob, die für die Entdeckung regulierender Kontrollgene bei Bakterien 1965 den Nobelpreis bekamen, erwähnten McClintock mit keinem Wort. Es dauerte weitere zehn Jahre, bis sich die Fachwelt endgültig von der Existenz der springenden Gene, der so genannten Transposone, überzeugen ließ. Denn diese spielen auch im Erbgut des Menschen eine wichtige Rolle. Die Tatsache, dass ein Transposon in die Steuerregion eines Gens springen und dessen Abschrift stören kann, wird heute mit zahlreichen Krankheiten in Verbindung gebracht, so auch mit einigen Formen von Krebs. Darüber hinaus ist die Beweglichkeit der genetischen Information auf den Chromosomen eine Voraussetzung dafür, dass wir gegen Millionen von Krankheitserregern Antikörper bilden können. Barbara McClintock war die erste Frau überhaupt, die einen ungeteilten Medizin- Nobelpreis erhielt. »Das Gute setzt sich irgendwann durch, man muss nur alt genug werden«, spöttelte die 81-jährige Forscherin, deren Leben gleichsam parallel zur Entwicklung der Genetik verlief. Als sie 1902 auf die Welt kam, waren gerade die Mendelschen Vererbungsgesetze wiederentdeckt worden. Und als sie am 2. September 1992 starb, gab es bereits das Human Genom Project, dessen Möglichkeiten sie jedoch skeptisch beurteilte, denn das Leben sei »komplizierter und einfach schöner«.
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