Holpriger Start für Freiwilligenjahr
EU will ehrenamtliches Engagement stärker unterstützen – geht dabei aber halbherzig vor
Leere Rubriken, falsche Telefonnummern und eine unübersichtliche Gestaltung prägen derzeit die offizielle Homepage der EU-Kommission für das Jahr der Freiwilligentätigkeit, von dem sich die Betroffenen sehr viel erhoffen. »Für uns ist das ein höchst interessantes Jahr, es wird ein großer Schritt in Richtung unserer Ziele werden«, sagt Gisela Lucke, deutsches Vorstandsmitglied des Europäischen Zentrums für Freiwilligendienste (CEV) mit Sitz in Brüssel. Als eines der wichtigsten Ziele nennt sie die Anerkennung der Freiwilligenarbeit. Und das nicht nur als Beitrag für mehr Wärme und Solidarität in der Gesellschaft, sondern auch als »wirtschaftlichen Wert«, wie Lucke es nennt. Denn wo Solidarität geschaffen wird, werde auch Armut und sozialer Ausschluss eingedämmt.
Ähnlich sieht das die Europaabgeordnete Sabine Verheyen: »2010 hatten wir das Europäische Jahr zur Bekämpfung der Armut, das EJF passt als Folgejahr hervorragend dazu«, sagt die CDU-Politikerin gegenüber ND. Als Mitglied des Kulturausschusses des EU-Parlaments war Verheyen an den Vorbereitungen des EJF beteiligt. Schon dabei gab es erste Enttäuschungen. »Wir hätten uns gewünscht, dass mehr finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt worden wären«, sagt sie. Zehn Millionen Euro hatte das Parlament gefordert, acht Millionen seien im Rat, dem Gremium der EU-Mitgliedsländer, nur gewährt worden. Die Wirtschaftskrise habe da sicher eine Rolle gespielt, vermutet Verheyen. Die beim Klagen aber nicht verharrt: »Das ist gut angelegtes Geld«, sagt sie.
Denn Freiwilligenarbeit sei eine wichtige Säule der Gesellschaft. Das EJF biete die Chance, sowohl in jedem einzelnen EU-Land das Bewusstsein für den Wert diese Art des Engagements zu stärken, als auch den Austausch mit anderen Ländern zu ermöglichen. Der Blick über Grenzen sei beim Thema Freiwilligentätigkeit immer hilfreich. Zu unterschiedlich sei diese nämlich in den einzelnen EU-Staaten organisiert und nirgends so perfekt, als dass man nicht von anderen Praktiken lernen könne.
In diesem Punkt stimmen Lucke, Verheyen und die EJF-Organisatoren bei der EU-Kommission überein. Der grenzüberschreitende Austausch von Erfahrungen ist daher auch Schwerpunkt der konkreten Aktionen, die die EU-Beamten für 2011 auf die Beine gestellt haben. Im Rahmen einer EJF2011-Tour reisen Freiwillige aus allen EU-Ländern das ganze Jahr durch alle Mitgliedsstaaten. Überall, wo sie Station machen, berichten sie von ihrem eigenen Engagement, suchen Gespräche mit Bürgern und den Dialog mit politischen Entscheidungsträgern. Begleitet wird diese Tour von einer sogenannten EJF-Staffel. Sie besteht aus 27 Freiwilligen – einer aus jedem EU-Land – mit journalistischem Hintergrund. Sie sollen über die Tour berichten und dafür sorgen, dass die Informationen aus den Begegnungen über das Ereignis hinaus in die Öffentlichkeit dringen.
In Deutschland macht die Tour in Berlin halt, Staffelläuferin dort ist die 23-jährige Lettin Inga Varslavova, die Erfahrung als TV-Reporterin mitbringt. Bislang hat sie noch von keinem »Highlight« berichten können. Auch Informationen über den Tour-Stop in Berlin stehen noch nicht auf der Webseite der EU-Kommission. Die deutsche Beauftragte für die EJF-Organisation beim Bundesfamilienministerium ist telefonisch dazu nicht zu befragen – zumindest aus Brüssel funktioniert ihre angegebene Telefonnummer nicht.
Gisela Lucke will auf solche Mängel gar nicht eingehen. Zufrieden zeigt sie sich mit dem, was das EJF schon gebracht habe. Bei ihrer Vereinigung, dem CEV in Brüssel, konnte dank der größeren EU-Aufmerksamkeit ein Sekretariat für jetzt 28 Freiwilligenorganisationen eingerichtet werden. Über die sechs Arbeitsgruppen und die nationalen EJF-Ansprechpartner in jedem EU-Land würden Netzwerke entstehen, die ein besseres Zusammenarbeiten – und das Lernen voneinander – erleichtern können. Zudem betreibt das CEV eine eigene Webseite im Internet. Angst, dass das EJF ein Misserfolg werden könne, hat Lucke zumindest nicht. »Dafür sind die Treffen jetzt schon viel zu lebendig und voller persönlicher Begeisterung der Beteiligten«, sagt sie.
Das Stichwort: Freiwilligenarbeit
Rund 94 Millionen Menschen, etwa 23 Prozent aller Europäer über 15 Jahre, engagieren sich laut Informationen der EU-Kommission in der Freiwilligenarbeit. Dabei ist diese Tätigkeit, bei der man für sein Engagement in der Regel kein Geld erhält, in den EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich stark ausgeprägt. Einen »sehr hohen Anteil« mit mehr als 40 Prozent der Bürger, die Freiwilligentätigkeit ausüben, weisen Österreich, die Niederlande, Schweden und Großbritannien auf. Bulgarien, Griechenland, Italien und Litauen bilden mit weniger als 10 Prozent der Bevölkerung die Schlusslichter der Tabelle. Deutschland gehört mit Dänemark, Finnland und Luxemburg zur Gruppe mit einem »hohen« Anteil an Bürgern mit Freiwilligenarbeit (30 bis 39 Prozent der Bevölkerung).
Am häufigsten engagieren sich Bürger freiwillig in Sport- und Freizeitvereinen (34 Prozent), Bildungsverbänden, Kunst-, Musik- und Kulturvereinen (22 Prozent), kirchlich-religiösen Vereinigungen (16 Prozent), Wohlfahrts- und Sozialverbänden sowie Gewerkschaften (17 bzw. 13 Prozent). In Deutschland lassen sich die Leistungen aus der Freiwilligenarbeit mit ein bis zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes wiedergeben. (kw)
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