»Ein weiteres Jahr Ehehölle«

Bundestag debattierte über Zwangsheirat, Aufenthaltsrecht und Residenzpflicht / Regierung will gegen Zwangsheirat vorgehen und Opfer besser schützen – Opposition spricht von Etikettenschwindel

Der Bundestag hat gestern erstmals über neue Gesetzentwürfe zur Zwangsheirat sowie zu weiteren aufenthalts- und asylrechtlichen Vorschriften beraten.
Opferschutz? Protest gegen eine längere Ehebestandszeit
Opferschutz? Protest gegen eine längere Ehebestandszeit

»Ich dachte, es ginge darum, den Opfern zu helfen«, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Veit nach den Ausführungen des parlamentarischen Staatssekretärs Ole Schröder (CDU). Der hatte erklärt, auf welche Weise die neuen Gesetze dazu dienen sollen, »die Defizite bei der Integration zu beheben«. So müssten diejenigen mit Sanktionen rechnen, »die unsere ausgestreckte Hand ausschlagen«.

Angeblich zum verbesserten Schutz der Opfer will die Bundesregierung einen eigenständigen Straftatbestand »Zwangsheirat« schaffen. Wer sich dessen schuldig macht, muss künftig mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren rechnen. Bislang gilt Zwangsverheiratung als besonders schwere Nötigung – und kann mit dem gleichen Strafmaß belangt werden. Ziel ist, wie es in der Begründung des Koalitionsentwurfs heißt, »Zwangsheirat stärker als bisher als strafwürdiges Unrecht zu ächten«. Dieses Anliegen begrüßt die Frauenrechtsorganisation Terres des Femmes. Von »Symbolpolitik« sprechen dagegen die Vertreter der Oppositionsparteien im Bundestag. »Aber es schadet auch nicht«, sagt Veit über das Gesetz.

Eine Verbesserung für Personen, die von Zwangsheirat betroffen sind, bedeutet die geplante Verlängerung des Wiederkehrrechts. Wird eine Frau gegen ihren Willen im Ausland verheiratet und festgehalten, erlischt ihr Aufenthaltstitel künftig nicht nach sechs Monaten, sondern erst nach zehn Jahren. Der Aufenthaltstitel soll auch nicht mehr davon abhängig sein, ob die Betroffenen selbst für ihren Unterhalt sorgen können. Entscheidend ist statt dessen eine »positive Integrationsprognose«, die nach der absolvierten Ausbildung und den früheren Lebensverhältnissen der Person abgegeben wird. Der neue, eigenständige Strafbestand tritt dann in den Hintergrund.

Die leichte Verbesserung des Opferschutzes mit der Verschärfung des Aufenthaltsrechts für Ehepartner aus dem Ausland zu verknüpfen, nennt Veit ein »unsittliches Ansinnen«. Denn die Regierungskoalition will auch »den Anreiz zur Eingehung einer Scheinehe« vermindern. Dazu soll die Zeit, die eine Ehe bestehen muss, bis ein ausländischer Ehepartner das Recht auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erwirbt, von zwei auf drei Jahre verlängert werden. Der grüne Abgeordnete Memet Kilic kritisiert, es gebe »keine gesicherte Datenlage«, dass mehr Scheinehen existierten als im Jahr 2000, als die Ehebestandszeit von vier auf zwei Jahre gesenkt worden war. An diesem Punkt habe der Bundesrat die Regierung »düpiert«, der in einer Stellungnahme fordert, den Entwurf zu überdenken.

Während sich die SPD in einem eigenen Gesetzentwurf lediglich für ein erweitertes Rückkehrrecht für Zwangsverheirate unabhängig von Integrationsprognosen ausspricht, plädieren die Grünen für umfangreiche bundesgesetzliche Reformen und eine Bund-Länder-Initiative. Ihnen geht es auch um die Anerkennung von Zwangsverheirateten als Flüchtlinge, die Sicherstellung von Unterkunft, Beratung, Papieren, Bildung und gerichtlichem Beistand, um besseren Schutz in Gerichtsverfahren durch die Ausweitung bestehender Zeugenschutzprogramme sowie Präventionsmaßnahmen.

»Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Zwangsheirat, der gleichzeitig die Abhängigkeit vom Ehepartner um ein weiteres Jahr verlängert, ist der blanke Hohn«, sagte die Geschäftsführerin von Terres des Femmes, Christa Stolle. Die vorhandene Härtefallregelung für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, sei nicht geeignet, um diese zu schützen. Der bestechenden Logik der Regierungsparteien – die längere Ehebestandszeit erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass eine Scheinehe nachgewiesen werden könne – halten Menschenrechtsorganisationen entgegen, dass dieses Jahr »ein weiteres Jahr Ehehölle« bedeuten kann. Terres des Femmes und andere protestierten vor dem Reichstagsgebäude gegen den Gesetzentwurf.


Der Gesetzentwurf - Bekämpfung von Zwangsheirat und Verbesserung des Opferschutzes

  • Zwangsheirat soll als eigenständiger Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden.
  • Für Opfer von Zwangsverheiratungen im Ausland soll ein eigenständiges Wiederkehrrecht geschaffen werden. Die Voraussetzung dafür, dies in Anspruch nehmen zu können, ist eine »positive Integrationsprognose«. D.h. nach der zuvor absolvierten Ausbildung und der früheren Lebensverhältnisse soll als gewährleistet erscheinen, dass sich die betreffende Person in die deutschen Lebensverhältnisse einfügen kann.
  • Die Antragsfrist zur Aufhebung einer unter Zwang eingegangenen Ehe soll von einem auf drei Jahre verlängert werden.
  • Weitere Änderungen im Aufenthalts- und Asylrecht
  • Die Mindestbestandszeit einer Ehe, nach deren Scheitern ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewährt wird, soll von zwei auf drei Jahre erhöht werden, um so genannten Scheinehen vorzubeugen.
  • Die Residenzpflicht für Asylbewerber und Geduldete soll gelockert werden, wenn damit eine Beschäftigung, ein Schulbesuch, eine Ausbildung oder ein Studium ermöglicht wird.
  • Die Länder sollen Verordnungen erlassen dürfen, die Ausländern den Aufenthalt in anderen Bundesländern ohne Erlaubnis ermöglichen.
  • Ausländerbehörden sollen ausdrücklich verpflichtet werden, vor der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zu prüfen, ob der obligatorische Integrationskurs besucht wurde.
  • Die Regelungen zur Datenübermittlung in Zusammenhang mit den Integrationsmaßnahmen sollen im Aufenthaltsgesetz festgeschrieben werden. ND
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