Arsen aus dem Brunnen
Jeder dritte Bewohner des armen Bangladesch trinkt verseuchtes Wasser
Wenn Frau Banu für ihre Familie Wasser aus dem Dorfbrunnen in ihre Hütte schleppt, bringt sie jedes Mal einige Mikrogramm Arsen mit. Das giftige Halbmetall gelangt durch das Trinkwasser und die kärglichen Speisen in den Körper. So wie den Banus geht es jeder dritten Familie in Bangladesch. Sie wissen oft nicht einmal, wie sie ihrer Gesundheit schaden, denn Arsen kann man weder riechen noch schmecken und – da es keine Farbe hat – auch nicht sehen. Das Gift wirkt sehr langsam, sodass meistens erst nach Jahren die ersten Anzeichen wie Magenschmerzen spürbar und Flecken auf der Haut sichtbar werden.
Willkommene Hilfe mit Nebenwirkungen
Bangladesch zählt zu den ärmsten Ländern der Welt, das häufig von Überschwemmungen, Sturmfluten, Hunger und Krankheiten heimgesucht wird. Und dazu kommt nun auch noch die – laut Aussagen der Weltgesundheitsorganisation – »größte Massenvergiftung der Menschheitsgeschichte«.
Früher schöpften die Bengalen ihr Trinkwasser aus Flüssen, Bächen und Kanälen. Aber durch Übernutzung und Fabriken, die ihr Abwasser ungeklärt im Oberflächenwasser entsorgen, ist dies aufgrund der Umweltgifte und Bakterien zur größten Krankheitsquelle geworden.
Die Hilfe aus dem Ausland, vor allem die der Vereinten Nationen, war deshalb hochwillkommen. Millionen handbetriebene Röhrenpumpen und eine gewaltige Aufklärungskampagne bewahrten 90 Prozent der Bevölkerung vor Cholera und anderen gefährlichen Darmerkrankungen. Das Projekt galt lange Zeit als Schulbeispiel für eine besonders erfolgreiche Entwicklungshilfe, und in dieser Euphorie wurden Arsenkontrollen schlichtweg versäumt. Dabei waren die erdgeschichtlich begründeten Einlagerungen von Arsen zu Zeiten des gigantischen Pumpen-Projektes bereits durch Geologen und Hydrologen rund um den Globus bekannt und auch dokumentiert worden. Nirgendwo wurde eine so hohe Konzentration des giftigen Halbmetalls wie in Bangladesch nachgewiesen.
Erst in den vergangenen zwölf Jahren wurde die Arsenproblematik in Bangladesch und im angrenzenden Teil Indiens in ihrer ganzen Dimension erkannt. Die daraufhin einsetzende Ursachenforschung ist noch zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen. Möglicherweise ist natürliches Arsen durch chemische und mikrobiologische Prozesse in das Grundwasser gelangt. Die immensen Abholzungen in Nepal, Bangladesch und Indien könnten diesen Prozess zusätzlich beschleunigt haben. Andere Forscher sehen im unkontrollierten Einsatz von arsenhaltigen Pestiziden und Düngemitteln die Ursache
Erst 1999, als viele Bengalen an Arsenicosis erkrankten und die ersten Todesfälle auftraten, haben das Entwicklungshilfeprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und die Weltbank schließlich 50 000 Brunnen auf Arsen getestet. Bei rund 40 Prozent der Proben war der zulässige Grenzwert um ein Vielfaches überschritten.
Niemand übernimmt die Verantwortung
Der Parlamentsabgeordnete Rabya Bhuyiam beschuldigte damals öffentlich Weltbank, UNICEF, Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zwei verantwortliche Ministerien in Bangladesch, die Arsenkrise fahrlässig ausgelöst zu haben. Doch niemand will Verantwortung übernehmen, denn es geht um Wiedergutmachungen in Höhe von Milliarden US-Dollar. So schieben sich die Akteure die Schuld gegenseitig zu. An der Universität in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, hält man nichts von einseitigen Schuldzuweisungen. Ashwin Anwar vom Hydrologischen Institut sieht den Grund in »der Summierung der verschiedenen Ursachen«. In seinen Augen ist »das Arsendesaster mit einem Flugzeugabsturz zu vergleichen, bei dem auch meistens mehrere Ursachen zusammentreffen«.
Für die Betroffenen ist diese Diskussion ohne Bedeutung, ihnen hilft nur rasches Handeln. Einer der weltweit führenden Experten für Arsenvergiftungen, Willard Chapel, brachte es auf den Punkt: »Wenn dies die Vereinigten Staaten wären, würde man die Nationalgarde holen und nur noch Wasser in Flaschen verteilen.«
Aber im erst 1971 unabhängig gewordenen Bangladesch, wo über die Hälfte der Bevölkerung in absoluter Armut lebt und weniger als einen Dollar pro Tag und Kopf zur Verfügung hat, sieht alles anders aus. Dem verarmten Land fehlen schon die Mittel für die dringend erforderlichen Arsentests der Brunnen. Nur ab und zu sieht man einen Brunnen mit einem roten Punkt, dem Zeichen für eine gesundheitsschädliche Kontaminierung. Würden diese Untersuchungen im bisherigen Tempo weitergeführt, so wäre man laut WHO-Angaben erst in 300 Jahren damit fertig. Doch auch die Markierung der vergifteten Brunnen hilft wenig, wenn keine Entgiftungsmaßnahmen eingeleitet werden.
Dabei haben die Bengalen selbst in den letzten Jahren mit großer Kreativität kostengünstige, angepasste Technologien zur Beseitigung von Arsen aus dem Grundwasser entwickelt. Besonders erfolgreich ist der sogenannte Sono-Filter, eine Erfindung der Wissenschaftler Kalam Munir und Abdul Hussam. Kalam Munir produziert diese unkompliziert herzustellenden Filter in einer Fabrik in Kushtia. Stolz erläutert der 2008 von einer großen Zeitschrift in Bangladesch gekürte »Mann des Jahres« die Funktionsweise: Die Filter bestehen aus zwei übereinander gestellten Plastikbehältern, die mit einfachen Materialien – Holzkohle, Sand und Eisenspäne – gefüllt werden. »Je nach Größe beträgt die Durchflussmenge pro Stunde vier Liter bei Familienfiltern und 30 Liter bei Schulfiltern«, erläutert der Wissenschaftler, während wir durch große Hallen mit vielen Arbeiterinnen und Arbeitern gehen. »Das Arsen wird zu 100 Prozent gebunden und ist nicht mehr löslich.« Er zeigt einen runden Stein: »Der hier bleibt nach sieben Jahren übrig, man kann ihn zur Befestigung von Straßen verwenden.«
Der Filter muss danach wieder mit neuen Materialien befüllt werden. Das Gesundheitsministerium in Dhaka habe nach eingehender Prüfung daraufhin »eine Empfehlung für den preiswerten und leicht zu bedienenden Filter ausgesprochen«. Aber nur wenige Menschen können sich diesen »überlebenswichtigen Luxus« leisten. Doch mit Hilfe der Organisation »Lichtbrücke« und mit Unterstützung staatlicher Entwicklungshilfe aus Deutschland konnten bereits über 150 000 Filter hergestellt und installiert werden. Was das für über eine Million Menschen bedeutet, wurde während einer Filterlieferung deutlich.
Auf einer Lastenrikscha, auf der sechs Filter zu ihrem Bestimmungsort transportiert werden, führt die kilometerlange Reise durch den dichten Verkehr. Plötzlich wird es laut. Frauen und Kinder singen und klatschen, als die Filter am Zielort angekommen sind. Umringt von glücklichen Menschen, werden sie vor den ärmlichen Hütten abgeladen, aufgebaut und sofort mit Wasser gefüllt. Jeder möchte von dem dünnen Strahl probieren. Und überall strahlende Gesichter, Überlebensfreude!
Ohne Wasserfilter droht der Tod
Ein Rundgang durch die angrenzenden kleinen Hüttensiedlungen zeigt, wie es jenen geht, die noch keinen Filter haben. Ganze Familien zeigen ihre Hände und Füße, die von Ausschlag befallen sind. Im Schatten der Bäume liegen Sterbende auf Bastmatten, Angehörige fächeln ihnen Luft zu. Mehr können sie nicht tun. Kalam Munir deutet auf die betroffenen Körperteile: »Im fortgeschrittenen Stadium entwickeln sich Wundstellen und Karzinome, die Glieder faulen bei lebendigem Leibe weg.« Hinzu kommen Leber-, Nieren- und Herzerkrankungen. »Ohne rechtzeitige ärztliche Hilfe und reines Trinkwasser führt die Erkrankung zu einem sehr qualvollen Tod.«
Mit diesem bedrückenden Erlebnis im Nacken werden die Schritte auf dem Rückweg schwer. Kinder, die aus der Schule strömen, schwätzen und lachen, lenken ab. Umringt von Jungen und Mädchen in grün-weißen Schuluniformen, gehen wir weiter. Ob sie zu Hause Filter haben, fragt Kamal Munir. »Ja, viele von uns«, antwortete ein Junge. Denn die, die keinen haben, können sich meistens auch keinen Schulbesuch für ihre Kinder leisten.
Ein Mädchen ist besonders gesprächig. Sie heißt Nipa und ist zwölf Jahre alt. Ihre Familie hat einen Filter, den uns Nipa gemeinsam mit ihrer Mutter gerne in ihrer Hütte zeigt. Der Vater hat im Basar auf der anderen Seite des Flusses ein bescheidenes Einkommen als Fischverkäufer. Sie haben sich das Geld für den Filter vom Mund abgespart. Nipas Familie war die große Bedeutung für ihre Gesundheit bewusst, weiß das Mädchen zu berichten, »aber viele andere Familien wissen nichts über das Arsen im Wasser.« Darum gebe es Sozialarbeiterinnen, die mit Musik, Tanz und Theater aufklären. Es macht Nipa »sehr traurig, dass es nicht allen so gut geht« wie ihr. Deshalb will sie später auch Sozialarbeiterin werden.
Kürzlich vom Autor erschienen:
Dietrich Pater / Siegfried Pater: Nipas Traum – Sauberes Wasser für Bangladesh, Retap Verlag, Bonn 2010, 42 Seiten mit zahlreichen Fotos, 18,- € + 2,- Euro € Spende für das Filterprojekt der Lichtbrücke e. V.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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