»Die Leute dort haben alle Geld bekommen«
Die Rede des ägyptischen Präsidenten treibt seine Anhänger auf die Straßen, wo sie auf die Demonstranten treffen
Auf dem Tahrir-Platz fließt Blut. Mit Steinen, Knüppeln und Eisenstangen gehen Anhänger und Gegner von Präsident Mubarak aufeinander los. Viele Menschen werden verletzt.
Am Mittwoch ist in Kairo ein anderes Ägypten unterwegs. Die Rede Mubaraks bringt seine Anhänger auf die Straße, die sich seit den frühen Morgenstunden vor dem Gebäude des Staatlichen Fernsehens versammeln, das live überträgt. »Mubarak muss bleiben, das Volk will Mubarak«, rufen die Männer und recken ihre Plakate und Bilder des Präsidenten in die Kameras der Journalisten.
Es war spät am Dienstagabend, als der ägyptische Präsident Husni Mubarak vor die Kamera des Staatlichen Fernsehens trat. Nicht einmal zehn Minuten brauchte er, um zu erklären, warum er nicht zurücktreten, wohl aber bei den kommenden Präsidentschaftswahlen, voraussichtlich im September, nicht mehr kandidieren werde. Sein lebenslanger Einsatz für Ägypten habe ihn ausgezehrt, so Mubarak, nun werde er »in Ägypten sterben«.
Auf dem Tahrir-Platz in Zentralkairo verfolgten Zehntausende seine Ansprache, die über Funk und Fernsehen übertragen wurde, berichtet Ghada Shabander von der Ägyptischen Menschenrechtsorganisation dem ND. Der Tag habe wohl die größten Demonstrationen in der Geschichte Ägyptens gesehen und sollte mit einem friedlichen Konzert zu Ende gehen. »Unmittelbar nach Mubaraks Rede flogen Arme und Plakate in die Höhe«, beschreibt Shabander die Reaktion der Demonstranten. »Nein zu Mubarak, Mubarak muss abtreten, jetzt«, hätten die Menschen gerufen.
Am Mittwoch zeigt sich: Nicht alle sehen das so. »Es ist das letzte Jahr von Mubarak, dann wird Omar Sulaiman übernehmen«, sagt ein Mann in gebrochenem Englisch etwas ruhiger. Er hoffe auf einen »organisierten Wechsel«, wie es auf seinem Plakat steht. Die Menge wogt vor dem Fernsehsender hin und her, einige haben Polizisten auf ihre Schultern gehoben und tragen sie durch die jubelnden Massen. Einer der Männer scheint so gerührt von der Zuneigung zu sein, dass er sich einige Tränen aus den Augen wischt. Für die Regierungsgegner auf dem Tahrir-Platz haben diese Demonstranten nur Wut und Verachtung übrig.
»Die Leute dort haben alle Geld bekommen, von Mohammed al-Baradei und den Muslim-Brüdern«, meint ein junger Werkstattbesitzer, der seinen Namen mit Mahmud angibt. Er trägt einen ordentlichen dunklen Anzug und hält ein Handy in die Höhe, mit dem er unaufhörlich Aufnahmen macht. Die würden ihnen Wasser und Essen bringen und jedem Demonstranten 50 Ägyptische Pfund geben. »Ja, ja, glauben Sie mir, die sind ungebildet und alle gekauft.« Die sollten ihre Hände von den Ägyptern lassen, meint Mahmud: »Die haben hier nichts zu suchen.« Husni Mubarak sei ein guter Mann, der das Land verteidigt und den Menschen nur Gutes gebracht habe, sagt ein anderer Mann, der im Krieg 1973 gegen Israel gekämpft hat. Nur mit Mubarak werde es einen richtigen Übergang zu einer neuen Regierung geben, alles andere bringe nur Chaos.
Immer mehr Mubarak-Unterstützer strömen auf die vom Militär gesperrte Straße am Nilufer, einige gehen auch direkt zu ihrem eigentlichen Ziel, dem Tahrir-Platz. Sie bauen sich vor den Absperrungen des Militärs auf und beschimpfen die Regierungsgegner, die mit Tüten voll Brot und Wasserkartons auf den Platz wollen, um ihre Freunde zu versorgen. Die jungen Soldaten sehen hilflos zu. Das Versprechen der Armeeführung, nicht gegen ägyptische Zivilisten vorzugehen, gilt für alle. Auf dem Platz geht es friedlich zu, wie die Tage zuvor. Noch immer harren hier Tausende aus, treffen Freunde, räumen auf, eine alte Frau hat Besen und Schaufel mitgebracht, um zu helfen. Die neueste Ausgabe der »Revolutionsnachrichten« wird verteilt, ein freiwilliges Ärzteteam bietet seine Hilfe an, immer wieder kommen Gruppen zusammen, um Parolen zu rufen.
Ghada Shabander ist nach acht Tagen Protesten zwar müde, entschuldigt sie sich, doch noch nie habe sie sich als Ägypterin so stolz gefühlt. Angesprochen auf die Mubarak-Unterstützer, die sich nur wenige Hundert Meter entfernt versammeln, meint sie, das sei ein gutes Zeichen für eine demokratische Entwicklung: »Einige sind für Mubarak, andere dagegen. Alle können ihre Meinung sagen«. Doch warum einige meinten, dass es Chaos gebe, wenn Mubarak zurücktrete, versteht sie nicht. Die Armee sei sehr stark und habe bewiesen, dass sie gegenüber dem Volk und gegenüber dem Land loyal sei, meint die Menschenrechtsaktivistin. Die Ägypter seien sehr wohl in der Lage, sich selber zu organisieren und auch sich selber zu schützen. Seit die Polizei am Freitag die Öffentlichkeit verlassen habe, hätten sie selber in ihren Vierteln mit ihren Nachbarn für Sicherheit gesorgt und eine eigene »Polizei des Volkes« gebildet. Sie sei sicher, dass bald Personen an die Öffentlichkeit treten würden, die auch einen politischen Wechsel in die Hand nehmen könnten.
Während des Gesprächs mit der Menschenrechtsaktivistin, die selber schon von Mubaraks Sicherheitskräften geschlagen und verhaftet wurde, ist es spät geworden. Auf den Straßen um den Tahrir-Platz werden die Massen der Unterstützer des Präsidenten immer dichter. Kurz nachdem wir uns verabschiedet haben, überrennen sie die Militärposten und verprügeln die Regierungsgegner auf dem Tahrir-Platz, die sich mit Steinen zur Wehr setzen. Reiterstaffeln zu Pferd und mit Kamelen jagen durch die Menschenmengen, kaum jemand zweifelt, dass die Truppen des Innenministeriums zurückgekehrt sind, in Zivil. Vom Dach des Nationalmuseums schleudern Männer Steine und andere Gegenstände auf die Regierungsgegner, Tränengaskartuschen explodieren, von denen niemand weiß, wer sie in dem Durcheinander geworfen hat. Das Militär gibt Warnschüsse ab, Verletzte werden davongetragen. Kairo driftet ins Chaos.
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