Militanztexte vom Regierungsnetzwerk
Gefahrenprognosen sind ein mächtiges Mittel für Behörden, Meinungsfreiheit einzuschränken
Ende Januar musste das Verwaltungsgericht (VG) Schwerin noch einmal über das Agieren der Polizei beim G8-Gipfel von Heiligendamm entscheiden. Das Verbot eines Sternmarsches, mit dem G8-Gegner am 7. Juni 2007 gegen das Treffen protestieren wollten, wurde für rechtswidrig erklärt. »Wir sehen uns in unserer Auffassung bestätigt, dass mit dem Verbot unzulässig in das Grundrecht der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit eingegriffen wurde«, heißt es in einer Erklärung von Attac.
Kritischer urteilte Ulrike Donat vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die die Kläger vertrat: »Wieder einmal bekommen wir im Nachhinein recht – aber die Versammlung konnte nicht stattfinden.« Donat wies auch auf einen Schwachpunkt der Entscheidung hin. Denn das Gericht lehnte es ab, sich mit dem Wahrheitsgehalt der Polizeipropaganda zum Gefahrenpotenzial des Sternmarsches genauer zu beschäftigen.
Damit sprach sie einen Punkt an, der schon während und nach dem G8-Gipfel für Diskussionen sorgte. Damals hatten Menschenrechtsorganisationen und Demonstranten schwere Vorwürfe gegen die polizeiliche Sonderbehörde Kavala erhoben. Diese hatte gezielt Falschmeldungen gestreut, beispielsweise über Vermummungen und Steinewerfer oder angebliche Säureattacken durch Clowns. Diese Meldungen waren die Grundlage für die polizeiliche Gefahrenprognose, die zum Verbot des nun für rechtswidrig erkannten Sternmarsches führten.
Nicht nur im Zusammenhang mit Heiligendamm sind die polizeilichen Einschätzungen in der Kritik. So hatte die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg bereits im Jahr 2004 eine Pressemeldung gegen ein Demonstrationsverbot während des Castortransports mit dem Titel »Gegen Polizeipropaganda und falsche Gefahrenprognosen« überschrieben. Als willkürlich gilt auch die Gefahrenprognose der niedersächsischen Polizei für die vom DGB angemeldeten Proteste gegen einen Neonaziaufmarsch in Bad Nenndorf, die vom NDR bekannt gemacht worden war. Die Polizei hatte Straßenkampf, Molotowcocktails und Steinwürfe vorhergesagt und auf ein allgemeines Demonstrationsverbot gedrängt. Dabei wollten die Nazigegner ein friedliches Straßenfest gegen Rechts organisieren.
Bei der Erstellung der Gefahrenprognosen stützen sich die Beamten zunehmend auf meist anonym im Internet kursierende Erklärungen. Die Herkunft der Texte bleibt meist unklar. Manchmal stößt man aber auch auf überraschende Quellen: So wurde Ende Januar bekannt, dass Aufrufe im Internet zur Militanz bei einer Demonstration gegen ein Kraftwerk von einem Server aus dem Netzwerk der britischen Regierung gepostet wurden. Das war durch die Überprüfung von IP-Adressen aufgeflogen. Mit diesen Texten hatten Behörden verschärfte Auflagen bei der Demonstration und die Beschlagnahme von Servern bei Aktivisten begründet.
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