Alarm beim Dorfmetzger

In Bayern gelten neue Ansiedlungsregeln für Supermärkte. Protest kommt sogar aus der CSU

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Ende vorigen Jahres hat die bayerische Staatsregierung die Bestimmungen für die Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten gelockert. Kritiker auch innerhalb der CSU befürchten einen Wettlauf zwischen den Gemeinden um immer attraktivere Einkaufszentren – mit gravierenden Folgen für das Bild der Ortskerne.
Partiell noch immer beschaulich: die Innenstadt von Landsberg am Lech
Partiell noch immer beschaulich: die Innenstadt von Landsberg am Lech

In Türkenfeld, einer kleinen Gemeinde westlich von München, finden sich im Ortskern die Sparkasse, der Unterwirt und die Pfarrkirche Maria Himmelfahrt. Jetzt soll draußen, an der östlichen Stadteinfahrt an der Zankenhausener Straße ein Supermarkt gebaut werden. Dagegen formierte sich eine Bürgerinitiative, die sich für die Belebung des Dorfkerns einsetzte, es kam zu einem Bürgerentscheid.

Dass die politischen Wellen rund um den Bau von neuen Lebensmittelläden so hoch wogen, hat auch damit zu tun, dass das bayerische Kabinett vor Kurzem und für viele überraschend eine Bauvorschrift geändert hat. Danach dürfen nun auch Supermärkte mit einer Größe bis zu 1200 Quadratmeter im ländlichen Raum errichtet werden. Kritiker auch innerhalb der CSU fürchten nun eine weitere Verödung der Ortskerne und sehen die Existenz kleiner eingesessener Läden bedroht.

Anschlag auf das Ortsbild

Die Allianz ist eher ungewöhnlich: Schulter an Schulter – dies zumindest in einer gemeinsamen Presseerklärung – sorgten sich der Musik-Kabarettist Hans Well von den »Biermösl Blosn«, der Grünenpolitiker Martin Runge und der Fürstenfeldbrucker CSU-Stadtrat Markus Droht wegen der vom Kabinett beschlossenen Lockerung bei der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßprojekten. Denn das sei »ein Anschlag auf Umwelt- und Naturschutz, auf Ortsbild und Landschaftsbild«, die Staatsregierung und Reinhold Bocklet, Vizepräsident des bayerischen Landtages und Initiator der Novellierung, seien gar die »Totengräber für Mittelstand und Heimat«.

Der entsprechende Beschluss der bayerischen Staatsregierung, ein Detail des sogenannten Einzelhandelsziels zu ändern, datiert vom 21. Dezember. Bisher konnten die Gemeinden in Bayern nach geltender Rechtslage bei sich Einzelhandelsbetriebe bis zu 800 Quadratmeter Verkaufsfläche ohne Beschränkung ansiedeln. Größere Betriebe mit mehr Verkaufsfläche wiederum durften nur in »geeigneten Zentralen Orten« und Siedlungsschwerpunkten ausgewiesen werden. Damit sollte ausgeschlossen sein, dass durch unverhältnismäßig große Einzelhandelsbetriebe wichtige Versorgungsstrukturen in der Standortgemeinde und in Nachbargemeinden (also der ansässige Tante-Emma-Laden, der örtliche Bäcker oder Metzger) gefährdet werden.

Bis zu 1200 Quadratmeter

Diese Beschränkung der Ansiedlung von größeren Supermärkten im ländlichen Raum war Teil des sogenannten Einzelhandelsziels des bayerischen Landesentwicklungsprogramms. In diesem Plan geht es auch um die Nahversorgung der Bevölkerung, aus »Sicht der Verbraucher von zentraler Bedeutung für die Daseinsvorsorge«. Einzelhandelsziel ist die »verbrauchernahe Versorgung mit Gütern des Grundbedarfs und des höherwertigen Bedarfs in allen Landesteilen«. Der Ministerrat gibt mit seiner Entscheidung vom Dezember nun einen Teil der bisherigen Regulierung des Einzelhandelsziels auf. Die Gemeinden im ländlichen Raum können nun selbst darüber entscheiden, ob sie den nun landesplanerisch zulässigen Rahmen bis zu 1200 Quadratmeter Verkaufsfläche bei Ansiedelung eines Supermarktes ausschöpfen wollen.

Ausblutende Zentren

Denn durch die geänderte Auslegung des Einzelhandelsziels kann im ländlichen Raum nun auch in »Kleinzentren« und »nicht zentralen Orten« unabhängig von der bestehenden Versorgungslage – also unabhängig davon, ob bereits ein Lebensmittelladen oder Bäcker vorhanden ist – ein Supermarkt dieser Größe zugelassen werden. Das könnten die Gemeinden aber selbst entscheiden, betont das federführende bayerische Wirtschaftsministerium unter Minister Martin Zeil (FDP), niemand werde gezwungen, einen neuen Supermarkt anzusiedeln,

Ganz anders sehen das die Kritiker dieser Entscheidung. »Unserer Ansicht nach droht mit der großzügigen Genehmigungspraxis ein weiteres Ausbluten von Ortszentren«, so die Befürchtung des Fürstenfeldbrucker Stadtrates Droht und seiner Mitstreiter. Die Neuregelung führe zu einem Wettlauf zwischen den Gemeinden um immer attraktivere Einzelhandelsgroßbetriebe. CSU-Mitglied Droht ist auch Geschäftsführer des »Bundes der Selbstständigen« in Bayern, der rund 20 000 Mitglieder vertritt. »Durch den Ministerratsbeschluss wird der Druck auf die Innenstadtlagen, die Immobilienbesitzer und den Mittelstand erhöht«, so der Verband in einer Stellungnahme. Kritik kommt auch vom Präsidenten des Handwerkstags und früheren CSU-Abgeordneten Heinrich Traublinger, der um den Bestand von Bäcker- und Metzger-Handwerksbetrieben fürchtet.

Anders dagegen der Einzelhandelsverband Bayern (HBE). »Das ist grundsätzlich der richtige Weg, das stärkt die Nahversorgung«, so HBE-Sprecher Bernd Ohlmann zur Neufassung des Einzelhandelsziels. Der Ball liege nun bei den Kommunen, die Verantwortung für eine Neuansiedlung trage noch immer der Bürgermeister. Zudem müsse ein neuer Supermarkt nicht unbedingt auf der grünen Wiese entstehen, sondern könne auch in der Innenstadt gebaut werden.

Nur noch 6000 Geschäfte

Im Sommer 2010 hatte der Einzelhandelsverband freilich noch geklagt, »das Sterben der kleinen Lebensmittelgeschäfte geht unvermindert weiter«. In Bayern sei die Zahl der Lebensmittelgeschäfte auf mittlerweile 6000 (ohne Discounter) gesunken, das Netz der Lebensmittelmärkte werde weitmaschiger, und gerade kleinere Betriebe könnten im Wettbewerb nicht mehr mithalten. Die »fußläufige Erreichbarkeit« sei vielfach nicht mehr vorhanden, was gerade für Ältere, Behinderte oder Kunden ohne Auto ein großes Problem sei.

Stark gemacht für die Neuregelung hatte sich Landtagsvize Reinhold Bocklet (CSU), dessen Absichten noch weiter gehen. Die Änderung der Verwaltungsvorschrift in Sachen Supermarkt soll demnach nicht nur im ländlichen Raum, sondern auch in sogenannten Verdichtungsräumen und auch für Discounter gelten.

In Türkenfeld zumindest ging der Lauf der Dinge in eine andere Richtung. Der neue Supermarkt wird zwar gebaut, infolge des Bürgerentscheids immerhin jedoch am Stadtrand.

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