Mehr Freiheiten für Marokkos Frauen
Die Reformen König Mohammeds VI. haben juristisch und faktisch Fortschritte gebracht
Asisa ist sich sicher: Nie mehr wird sie zu ihm zurückgehen. Immer wieder hat ihr Mann sie geschlagen, selbst vor der gemeinsamen Tochter hat er nicht haltgemacht. »Am Monatsende, wenn das Geld knapp wurde, verlor er regelmäßig die Nerven«, erzählt die 31-jährige Marokkanerin. Ihren Nachnamen will sie aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Vor ein paar Wochen hat Asisa ihren Partner verlassen und Schutz gesucht im »Centre Tilila«, einem Frauenhaus am Rande der marokkanischen Metropole Casablanca. Sie ist wieder schwanger, trotzdem steht ihr Entschluss fest: »Ich werde mich scheiden lassen.«
Noch vor wenigen Jahren wäre das unmöglich gewesen. Bis 2004 konnten praktisch nur Männer über eine Ehetrennung entscheiden. Dann reformierte König Mohammed VI. die »Moudawana«, das Familienrecht, und stärkte die Rolle der Frauen in dem muslimisch geprägten Staat. Wo bis dato der Harem zum Alltag gehörte und Frauen Männern gehorchen mussten, sind die Geschlechter nun juristisch gleichgestellt. Ehegattinnen können sich scheiden lassen, Männern ist es untersagt, ihre Angetrauten zu »verstoßen«. Nicht mehr muslimische Geistliche, sondern staatliche Richter verhandeln jetzt über ein Scheidungsersuchen.
Das Kalkül des Monarchen war eindeutig: Die marokkanische Regierung setzt auf enge Anbindung an den Westen. Und sie braucht die Unterstützung des liberalen Bürgertums, um sich gegen die wachsende islamistische Opposition zu wappnen. Dass dennoch selbst die islamistische Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) die Reform unterstützte, hatte taktische Gründe. Kurz zuvor waren in Casablanca Bomben al-Qaida-naher Terroristen explodiert, die PJD stand unter Druck. Die PJD-Abgeordnete Bassima Haqqaoui erklärt die Zustimmung zur Reform jedoch anders: »Die Moudawana bewegt sich innerhalb der Vorgaben des Koran.«
Dennoch spricht die säkulare Feministin Fouzia Assouili von einem großen Schritt für die Frauenrechte. »Zum ersten Mal hat die Idee der Geschlechtergerechtigkeit Eingang in die Rechtsprechung gefunden. Das schafft neue Normen«, sagt die Präsidentin der Frauenliga LDDF. Über die Wirkung des Gesetzes macht sie sich jedoch keine Illusionen. Studien ihrer Organisation hätten ergeben, dass noch immer 13-Jährige vermählt würden, weil sie schwanger seien. Jede zehnte Ehefrau sei minderjährig. Dass der König das Mindestheiratsalter auf 18 Jahre festlegte und die Polygamie verboten hat, sei zwar ein Fortschritt. Da es aber Ausnahmeregelungen gebe, lasse das Gesetz Richtern großen Spielraum. »Konservative Juristen können also weiterhin im Interesse der traditionellen Männerwelt entscheiden«, kritisiert Assouli.
»Wegen ihrer wirtschaftlichen Lage und der gesellschaftlichen Stimmung ist es für Frauen weiterhin schwierig, die Scheidung einzureichen«, ergänzt Tikerouine Khadja. Die Juristin arbeitet im »Centre Ecoute«, einer Anlaufstelle der LDDF für Frauen in Not im pulsierenden Zentrum von Casablanca. Auch Leila, eine junge Frau, kam zunächst hierher, ihre Eltern wollten sich nicht in die Probleme ihrer Tochter einmischen. »Die meisten ordnen sich lieber unter und akzeptieren die Gewalt«, berichtet Khadja aus ihrer täglichen Erfahrung.
Diese patriarchale Traditionen überwinden und die Verhältnisse verändern, die auf der Dominanz der Männer basieren – mit diesen Zielen ist die Frauenliga angetreten. Der islamistischen PJD trauen sie nicht über den Weg. »Die Partei macht immer wieder Vorschläge, die der Idee des Gesetzes widersprechen«, sagt Fouzia. Tatsächlich ist die PJD-Parlamentarierin Haqqaoui etwa besorgt darüber, dass Scheidungen seit der Reform massiv zugenommen haben. Dass sich laizistische Aktivistinnen gegen die Verheiratung von Mädchen stark machen, hält sie für eine »falsche Debatte«, die vom Ausland hereingetragen werde. Eine 17-Jährige sei schließlich nicht wirklich minderjährig. Sie vertraue da auf »Gottes Gerechtigkeit«. Was die Politikerin damit meint, erklärt sie anhand des Erbrechts, das weiterhin auf dem Koran aufbaut: »Die Männer bekommen in manchen Fällen mehr, weil sie die Frauen beschützen und unterhalten müssen.«
Gegen solche fundamentalistischen Ansätze macht sich die Ärztin und Autorin Asma Lamrabet für einen »Dritten Weg« stark, der auf humanistische Ideale aufbaut, die sie in der Heiligen Schrift findet. Fälschlicherweise sei der Koran immer »patriarchal und diskriminierend« interpretiert worden, sagt Lamrabet, die sich selbst als »islamische Feministin« bezeichnet. »Man muss die Religion vom Politischen befreien«, fordert sie. Erst durch den politischen Islam sei der Glaube zu einer Quelle der Unterdrückung geworden.
Bei den muslimischen Gelehrten eckt die Schriftstellerin ständig an, ihren laizistischen Schwestern fühlt sie sich dagegen eng verbunden. Die wiederum sind skeptisch. So etwa Fadela Sebti, die in ihrem Rechtsanwaltsbüro in Casablanca seit vielen Jahren Frauen verteidigt. »Entweder wir sprechen von Frauenrechten, Gleichheit und humanistischer Vision, oder vom Koran.« Der Zwang zum Tschador, die Polygamie, das alles lasse sich nicht mit der Idee der Emanzipation vereinbaren. Doch mit Blick auf die Reform ist sie sich mit Lamrabet einig: »Die Moudawana hat die rechtliche Situation von Frauen grundlegend verbessert.« Aus ihrer täglichen Arbeit weiß aber auch sie, dass die Wirklichkeit der Wirkung des Gesetzes Grenzen setzt. Sie kenne keinen Mann, der akzeptiert habe, dass seine Frau nach der Trennung mit den Kindern mit einem Anderen lebe.
Auch Leila befürchtet, dass sie nicht zur Ruhe kommt. Wird er sie belästigen? Was wird mit dem Kind, das sie noch im Bauch trägt? Und mit der Tochter? Noch immer habe das Mädchen Albträume. Sie ergänzt mit einer festen Stimme, die weder Wut noch Selbstmitleid durchschimmern lässt: »Ich werde jedenfalls alles dafür tun, damit meine Kinder nicht das erleiden, was ich erleiden musste.«
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