Jerusalem schweigt, Ramallah handelt

Israel fürchtet Ende der Gaza-Blockade

  • Indra Kley, Jerusalem
  • Lesedauer: 3 Min.
Israel, die »einzige Demokratie im Nahen Osten«, fürchtet die Demokratiebestrebungen seines Nachbarn. Nach Mubaraks Abgang herrscht in Jerusalem Katerstimmung. Im Westjordanland hingegen ist die politische Führung rege wie lange nicht mehr: Nach dem Umsturz in Ägypten soll nun endlich eine neue palästinensische Regierung her.

In einem Punkt sind sich Israelis und Palästinenser in diesen Tagen ausnahmsweise einig: Der Rücktritt Husni Mubaraks hat beide Parteien in einen tiefen Schock versetzt. Was nun, wenn der große Bruder in Ägypten fort ist, seine schützende Hand nicht mehr über den Nahen Osten hält? In Israel weiß man auch am Tag drei nach dem historischen Umsturz noch nicht, wie die neuen Kräfteverhältnisse bewertet werden sollen.

Das ganze Dilemma wurde in der kurzen Mitteilung deutlich, die das Büro des Ministerpräsidenten am Sonntag als bislang einzige Reaktion auf den Umbruch in Ägypten veröffentlicht hatte: Benjamin Netanjahu begrüße die Ankündigung des ägyptischen Militärs, dass das Land seine Abkommen mit Israel weiterhin einhalten werde. Punkt. Für Solidaritätsbekundungen oder gar Glückwünsche zum Sieg eines Volkes über seinen Despoten hat man in Jerusalem zurzeit keinen Nerv. Zu groß ist die Angst vor der Kraft aus dem Süden. Zu viel steht auf dem Spiel.

Die Lage ist verzwickt: Eigentlich sollte Israel den Kampf für Demokratie in den arabischen Nachbarländern unterstützen. Doch fürchtet der jüdische Staat die Folgen, die der Verlust des starken Verbündeten Ägypten mit sich bringen könnte. Von Beginn der Proteste an hielt Netanjahu an dem bedrohlichen Szenario fest, an Israels südlicher Grenze könnte ein zweites Iran entstehen. Über die Erhöhung des Verteidigungsetats ist bereits laut nachgedacht worden. Von einer weiteren Isolation Israels in der arabischen Welt ist die Rede.

Und von einem Erstarken der Hamas, die die instabile politische Lage in Ägypten nutzen könnte, um weitere Waffen und Kämpfer in den Gaza-Streifen zu bringen. Hamas-Führer Mahmud al-Zahar hat Ägypten bereits aufgefordert, Elektrizität und Wasser in das abgeschottete Küstengebiet zu leiten und den Grenzübergang Rafah für den freien Warenaustausch zu öffnen. Ein Alptraum für die israelische Regierung, die mit ihren Einfuhrbeschränkungen bislang alles unternimmt, um die radikalen Kräfte und mit ihnen die 1,5 Millionen Bewohner des Gaza-Streifens zu strafen. Wie dem begegnet werden soll, darüber schweigt die politische Führung in Jerusalem.

In Ramallah hat man indes auf die neue Situation reagiert – mit einem lange angekündigten, aber bislang nie vollzogenen Schritt: Laut Agenturberichten hat der palästinensische Ministerpräsident Salam Fajad gestern sein Rücktrittsgesuch bei Präsident Mahmud Abbas eingereicht. Der Rücktritt der Regierung soll eine Neubesetzung der meisten Ministerposten ermöglichen. Zudem sollen die seit mehr als zwei Jahren überfälligen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen bis September abgehalten werden. Ob dies neuen Schwung in den Friedensprozess bringt, ist allerdings fraglich. Erst am Sonnabend war auch der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat nach einer Affäre um ein Datenleck in seiner Behörde zurückgetreten. Und Netanjahu hatte erst kürzlich beim Besuch Angela Merkels deutlich gemacht, dass er für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen allein die Palästinenser in der Pflicht sieht.

Es könnten schwere Zeiten für den Nahostfriedensprozess anbrechen. Der palästinensische Menschenrechtsaktivist Bassam Eid ist überzeugt davon, dass die Palästinenser die ersten Verlierer der Revolution sein werden. »Warum? Weil unser Konflikt verschoben wird. Wir verschwinden gerade nicht nur von der Medienagenda – wir verschwinden auch von der Agenda der internationalen Gemeinschaft.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.