»Mutterland der Ungleichheit«
Der Wirtschaftswissenschaftler Gustav Horn rechnet in seinem neuen Buch vor allem mit Rot-Grün ab
Bei der Vorstellung des Buches in Berlin ist auch gleich einer, der für die »wachsende Ungleichheit« gerade stehen muss: Ausgerechnet SPD-Chef Sigmar Gabriel stellt das Buch vor und ist voller Lob: Horn räume mit der Vorstellung auf, dass soziale Ungleichheit ein sozialpolitisches Problem sei und analysiere eine verfehlte Wirtschaftspolitik. Nur, dass SPD und Grüne nach Horns Analyse verantwortlich sind, dass Deutschland »zum Mutterland der Ungleichheit geworden ist«. Ein Eiertanz, bei dem Gabriel einräumt, »die Öffnung des Niedriglohnsektors war ein Kardinalfehler« und auch die Sozialdemokraten hätten dazu beigetragen, den Wert der Arbeit zu verringern. Aber Gabriel betont, die Agenda 2010 hätte auch positive Seiten wie die Förderung der Ganztagsschulen oder das Erneuerbare Energiengesetz.
Horns Buch ist mehr als eine Abrechnung mit der Politik. Die Ursachen für die wachsende Ungleichheit sei »im Kern das Ergebnis intellektuellen Versagens vor allem der Ökonomen«. Die Strategie »Der Markt wird es regeln« sei zusammengebrochen »und die Verfechter wissen noch nicht mal warum«, kritisiert der Chefökonom des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).
Er fordert eine Wirtschaftspolitik, die sich wieder auf Keynes beziehe und die Konjunkturforschung weiterentwickle, denn »auch wir haben Fehler gemacht«. So hätten die Konjunkturforscher die Finanzmärkte viel zu lange »als reines Spielkasino betrachtet«.
Horn plädiert daher nicht nur für mehr staatliche Konjunktursteuerung, sondern auch für mehr Verteilungsgerechtigkeit und eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte. Ein Mittel sei hier die Finanztransaktionssteuer. Denn »es ist nicht einzusehen, warum man beim Brotkauf sieben Prozent Mehrwertsteuer zahlen muss, beim Kauf einer Aktie hingegen nichts«.
Auch die europäische Wirtschaftspolitik steht auf dem Prüfstand. Um zukünftige Krisen zu vermeiden, braucht es nach Horns Analyse grundlegende institutionelle Entscheidungen, um die Europäische Währungsunion »wetterfester« zu machen.
»Des Reichtums fette Beute. Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert« ist auch ein zorniges Buch, wie Horn selbst über seine Motivation sagt. Denn Deutschland »hat sich auf den Weg zu einem plutokratischen System begeben, einem System, das der Herrschaft des Reichtums unterliegt«, was in den vergangenen Jahrzehnten »zu immer weniger Teilhabe breiter Schichten der Bevölkerung am ökonomischen Erfolg geführt hat«. Die Folge sind »sowohl am oberen als auch am unteren Ende der Einkommensskala entstandene Parallelgesellschaften, deren Mitglieder mit dem großen Rest der Gesellschaft nur noch wenig gemein haben – natürlich auf gänzlich verschiedene Weise«.
Gustav A. Horn: »Des Reichtums Fette Beute. Wie die Ungleichheit unser Land ruiniert«. Campus Verlag, ISBN 978-3-593-39347-6, 24,90 Euro.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.