Samthandschuhe für den Ex-Präsidenten

Frankreich: Jacques Chirac muss sich vor Gericht für Korruption und Amtsmissbrauch verantworten

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Dass sich ein ehemaliger Staatspräsident vor Gericht für seine Entscheidungen und Taten rechtfertigen muss, ist selten. Schon darum zieht der Prozess, der am heutigen Montag vor einem Pariser Gericht gegen Jacques Chirac beginnt, besonderes Interesse auf sich.

Bei dem Verfahren geht es allerdings nicht um die zwölf Jahre Amtszeit des heute 78-Jährigen im Elysée, sondern um die Zeit davor, als er Bürgermeister von Paris war. Dieses Amt übte er von 1977 bis 1995 aus und in dieser Zeit hat er ganz offensichtlich regelmäßig tief in die Stadtkasse gegriffen, um seine Partei RPR zu alimentieren. Diversen Politikern, Gewerkschaftern oder anderen Persönlichkeiten erwies er Gefälligkeiten. Er machte sie von sich abhängig, indem er deren Mitarbeiter oder Familienangehörige mit fiktiven Jobs auf die Lohnliste der Stadt setzte. Unternehmen, die mit der Stadt Geschäfte machen wollten, wurden zu Bargeldzahlungen gezwungen, die in Chiracs »Schwarze Kasse« wanderten, aus der dieser wohl auch private Urlaubsreisen ins Ausland bezahlte.

Jacques Chirac hat den Medien gegenüber immer wieder mit treuem Augenaufschlag behauptet, dass er von der Justiz behandelt werden wolle »wie jeder andere Bürger«. Doch tatsächlich haben er und seine Anwälte alles getan, um gerade dies zu verhindern. Während seiner Amtszeit als Präsident wurde die Immunität des Staatsoberhauptes vorgeschoben, obwohl es um Vorwürfe aus der Periode davor ging und der Präsident durchaus als Zeuge hätte aussagen können. Wahrscheinlich rechnete Chirac darauf, dass die Affäre wie so viele andere im Sande verlaufen würde. Doch als 2007 seine Amtszeit als Staatschef ablief und er als »Politik-Rentner« wieder für die Justiz greifbar wurde, rollte ein Untersuchungsrichter das Verfahren, das zuvor nur geruht hatte und nicht verjährt war, wieder auf.

Nun wurden auf der Gegenseite alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Folgen für Chirac möglichst gering zu halten. Seine politischen Freunde machten in den Medien Stimmung mit dem Argument, man möge doch »den alten Mann in Ruhe lassen« und ihn nicht zum »Opfer ideologischer Lynchjustiz« machen. Es wurde sogar schon das Gerücht gestreut, Chirac leide unter Alzheimer und sei verhandlungsunfähig – was dieser allerdings selbst vehement von sich weist. Chiracs Amtsnachfolger Nicolas Sarkozy, mit dem er über lange Jahre verfeindet war, der aber kein Interesse an der Verurteilung eines Ex-Präsidenten haben kann, sorgte immerhin dafür, dass sich die Anklage jetzt auf 21 »fiktive Beschäftigungsverhältnisse« bei der Stadt Paris beschränkt. Viele andere Fälle von Betrug und Amtsmissbrauch bleiben damit unberücksichtigt. Und auf Initiative Sarkozys unterbreitete die Fraktion der rechten Regierungspartei UMP im Pariser Stadtrat den Vorschlag, der Stadt den finanziellen Schaden in Höhe von 2,2 Millionen Euro zu erstatten. Der sozialistische Bürgermeister Bertrand Delanoe ließ sich auf den Deal ein. So wurde ausgehandelt, dass die UMP als Nachfolgerin der RPR 1,65 Millionen Euro an die Stadtkasse zurückzahlen soll und Chirac aus seinem persönlichen Vermögen 550 000 Euro. Im Gegenzug verzichtet die Stadt Paris darauf, im Prozess als Nebenkläger aufzutreten.

Diese Regelung, die Delanoe viel Kritik in der Öffentlichkeit und seitens linker Oppositionspolitiker eingebracht hat, fand im Stadtrat mit den Stimmen der Rechten und der Sozialisten, aber gegen die der Kommunisten und der Grünen die nötige Mehrheit. Die Staatsanwaltschaft hat bereits angekündigt, dass sie vor Gericht auf Einstellung des Verfahrens und Freispruch Chiracs plädieren wird. Jetzt kann man nur gespannt sein, ob auch die Richter einknicken oder ob sie den Prozess ungeachtet des politischen Drucks konsequent durchziehen und Chirac zumindest symbolisch verurteilen. Theoretisch stehen auf die ihm zur Last gelegten Vergehen bis zu zehn Jahre Gefängnis und 150 000 Euro Geldstrafe.

Mehrere Bürgervereinigungen und einzelne Pariser haben schon angekündigt, dass sie anstelle der Stadt die Zulassung als Nebenkläger beantragen werden, um die Interessen der finanziell und moralisch geschädigten Bürger zu vertreten. Sie argumentieren, dass der materielle Schaden für die Stadt nicht nur 2,2 Millionen Euro, sondern mindestens 5 Millionen betragen hat, weil der Kreis der Personen, die aus politischer Gefälligkeit auf der Lohnliste der Stadt standen, viel größer war. Vor allem jedoch sind sie der Überzeugung, dass der politische und moralische Schaden geahndet werden muss. Jedem Politiker müsse so klar gemacht werden, dass er nicht über Gesetz und Moral steht.

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