Der Weg aus dem Hamsterrad
Die Häuser des Müttergenesungswerks bieten in zahlreichen Regionen Deutschlands Auszeiten für Mütter an – doch die Zahl der Kuraufenthalte sinkt
»Ich fühle mich wie ein Hamster im Rad«, klagt die junge Mutter. »Ich mache meinen Job, versorge meine Familie von morgens bis abends, aber ich spüre gar nichts mehr richtig. Am liebsten möchte ich nur noch schlafen.« Dann bricht es aus ihr heraus: »Am Schlimmsten ist, wenn ich plötzlich ohne Grund anfange zu weinen oder meine Kinder anschreie. Sie brauchen doch eine starke Mutter! Aber ich kann einfach nicht mehr.«
Solche Aussagen hört Marianne Adler oft von Frauen, die in ihre Beratungsstelle kommen. Sie ist seit 27 Jahren zuständig für Mütter- und Mutter-Kind-Kuren beim Diakonischen Werk Frankfurt am Main. »Mütter gehen mit Kindern oft zum Kinderarzt, denken an sich aber leider häufig erst, wenn sie beinahe zusammenbrechen. Die Erschöpfung zeigt sich in starken Stimmungsschwankungen und Angstzuständen, Migräne bis hin zu Reizdarm.« Rund 80 Prozent der Frauen in der Beratungsstelle sind alleinerziehend, darunter viele Migrantinnen und Frauen, deren Männer arbeitslos geworden sind. Im Bundesdurchschnitt werden rund 30 Prozent der Alleinerziehenden Kuren für Mütter gestattet, außerdem vielen Müttern mit drei oder mehr Kindern – beide Gruppen stammen meist aus geringeren Einkommensschichten.
Nach Einschätzung des Müttergenesungswerkes sind das insgesamt aber viel zu wenige: 2,1 Millionen Mütter und 1,1 Millionen Kinder bräuchten die Heilbehandlung, aber nur fünf Prozent davon bekämen sie auch tatsächlich.
»Der lange, bürokratische Weg durch die Krankenkassen hält erschöpfte Mütter davon ab, überhaupt eine Kur zu beantragen«, glaubt Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerkes in Berlin. »Außerdem wird ein Drittel der Anträge erst einmal abgelehnt.« Ann Marini, stellvertretende Pressesprecherin des GKV-Interessenverbandes der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, bestätigt: »Die Fallzahlen für Mütterkuren sind in der Tat rückläufig. Ob es daran liegt, dass weniger Anträge gestellt werden oder mehr abgelehnt, kann ich allerdings nicht sagen.« Laut Sozialgesetzbuch besteht jedenfalls ein gesetzlicher Anspruch auf eine Mütterkur: Üblich sind drei Wochen – das ist sogar im Vierjahresrhythmus möglich. Erfahrene Beraterinnen der Wohlfahrtsverbände wissen, wie Anträge formuliert sein müssen, um – mit dem notwendigen ärztlichen Attest – bewilligt zu werden.
Dennoch werden laut Müttergenesungswerk 32 Prozent der Anträge von den Kassen abgelehnt. Zwei Drittel der Betroffenen legen dagegen Widerspruch ein, davon sei die Hälfte erfolgreich. »Aber dieses Vorgehen ist doch eine Zumutung für Mütter, die ohnehin ein ›Burn out‹ haben«, findet Schilling. »Es gibt auch durchaus einige Kassen, die die Anträge auf Mütterkuren zügig bearbeiten und bewilligen. Aber Verzögerungstaktik und Ablehnung nehmen leider wieder zu«, sagt sie. Auch deshalb will das Müttergenesungswerk jetzt den Druck auf das Bundesgesundheitsministerium erhöhen. »Die Kassen reagieren offenbar nur auf genaue politische Vorgaben.«
»Mütterkuren sind so wichtig, weil sie Müttern erlauben, eine Weile aus dem ›Hamsterrad‹ herauszukommen«, sagt Beraterin Marianne Adler. Manche Frauen brauchen ein Sport- und Ernährungsprogramm, andere müssen eher Zeitmanagement und Entspannungsmethoden lernen. Oft ist auch eine Stärkung des Selbstbewusstseins nötig, Eheberatung oder Hilfe bei der Kindererziehung.
In den 84 Häusern für Mutter-Kind- und Mütter-Kuren an der Nord- und Ostsee, in Bayern und Hessen bietet das Genesungswerk verschiedene Schwerpunkte an. Seit 2002 dürfen dort auch Väter kuren, wenn sie in der Familie hauptverantwortlich für das Kind sind.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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