Veränderung wächst aus Ungeduld
In »Am Kreuzweg« (ARD, 20.15 Uhr) spielt Harald Krassnitzer einen Priester, der an der Amtskirche verzweifelt
ND: Der Zölibat und seine Folgen sind derzeit in aller Munde. Hat Sie dies an diesem Angebot gereizt?
Krassnitzer: Für mich war viel wichtiger, dass der Film weit darüber hinausgeht und den Zölibat nicht einfach an den Pranger stellt. Er erzählt eine Familiengeschichte, in der das Leben von allen durch die Folgen des Zölibats beeinflusst wird. Alle haben bewusst oder uneingeweiht mit einer Lüge gelebt, deren Folgen sie sich stellen müssen. Würde sich der Film alleine auf das Schicksal des Mannes beschränken, wäre es ein ziemlich langweiliger Film und würde die eigentliche Problematik nicht vermitteln.
Zeitgemäß ist dieses Gebot doch sicher nicht mehr?
Seine Aufrechterhalt hat mit dem Gedanken an Elitesoldaten zu tun. Wir sind die, die unser Leben opfern, um in der Gesellschaft im Geist Christi dessen Lehre zu verbreiten. Um sie umsetzen zu können, muss man erstmal eine Idee von der Gesellschaft und von Leben haben. Sonst wirst du kläglich scheitern. Das tut die Kirche in einzelnen Bereichen. Bei allen kirchenkritischen Debatten die auch berechtigt sind, sollte nicht vergessen werden, dass in ihr viele Menschen außergewöhnlich gute Arbeit im Sinne der christlichen Lehre leisten. Das geht vom Kindergarten bis hin zum Hospiz und der Entwicklungszusammenarbeit. Das zeigt, wie wichtig diese Institution für unsere Gesellschaft ist und welche Chancen sie hätte, wenn sie in bestimmten Bereichen weltoffener handeln würde. Also im wahrsten Sinne des Wortes ihre Herzen öffnen würde für alle, die Probleme haben. Offensichtlich trifft das auch auf den von mir gespielten Pfarrer zu, der erfolgreiche Arbeit leistet, aber auch nur ein Mensch mit Gefühlen ist. Er scheitert, weil er sie heimlich ausleben muss und sein Doppelleben verdrängen muss. Das finde ich spannend zu sehen, welch Opfer das für alle bedeutet.
Wobei der Umgang der katholischen Kirche mit den Verfehlungen ihrer Pfarrer widersprüchlich ist, da sie sonst eher als die evangelische Kirche Sünden erlässt.
Das erschüttert mich am meisten. Eine Institution, die die Vergebung als eine der wesentlichen Säulen ihres Glaubens sieht, kann nicht vergeben. Dabei hat mich die Möglichkeit der Vergebung und das Diesseits und das Leben bejahende immer für die katholische Kirche eingenommen. Im Gegensatz zu den Protestanten müssen Katholiken ja nicht bis ans Lebensende immer weiter streben in der Hoffnung, dass ihre Sünden vergeben werden. Dieses Faustische liegt ja da mit drin und nicht umsonst sind der Calvinismus und die Ursprünge des Kapitalismus gleichzeitig entstanden.
Brauchen wir die Kirche im gegenwärtigen Zustand noch?
Sie könnte nicht unwichtig sein sie in einer Gesellschaft, die zunehmend auseinander bricht. Als sinnstiftende Institution, um bestimmte Werte, die jenseits des Homo Economicus sich befinden, wieder zu vermitteln. Wahrhaftigkeit und Besinnung auf das Elementare, das Menschsein. Ich finde es, auch wenn es pathetisch klingt, traurig, dass sich der Kirchenapparat nicht aufmacht und die Chance ergreift, das Thema Werte aufzunehmen. Die Kirche könnte ein Vakuum füllen, denn die Parteienlandschaft zerbröckelt. Und damit einer der wesentlichen Stützpfeiler unserer Demokratie. Große Parteien dümpeln bei einer Quote von 20 Prozent und das bei einer Wahlbeteiligung von 60 Prozent. Bei ihnen finden viele Menschen keine Identifikationsebenen und keine Haltungen mehr. Es geht ihnen mehr um Machterhalt des jeweiligen Parteiapparates, aber nicht um gesellschaftlich relevante Auseinandersetzungen.
Der Apparat steht über allem?
Bei der Kirche habe ich das Gefühl, dass es nicht vordergründig um den Machterhalt des Apparates gehen müsste. Sondern dass sie auch gesellschaftlich relevante Ebenen ansprechen könnte. Weil sie aus der Lehre hinaus ja nicht à priori ökonomisiert sind, obwohl sie auch einen großen ökonomischen Machtbereich hat. Aber die Sehnsucht, dass das funktionieren könnte und sie wieder eine sinnstiftende Rolle übernimmt, die teile ich mit vielen Menschen, obwohl ich aus der Kirche ausgetreten bin.
Die konservativen Kräfte des kirchlichen Apparats scheinen aber die Oberhand zu behalten.
Ungeduld ist aber etwas, was Veränderungen nach sich zieht. Das sehen wir gerade in den nordafrikanischen Staaten. Sie gehen von einer Basis aus, von der wir nie dachten, dass sie existiert. Genauso wie wir uns im Westen vor 1989 hätten nicht vorstellen können, dass diese Mauer fällt, Weil wir nie gedacht hätten, dass in der DDR plötzlich Hunderttausende auf die Straße gehen und sagen, wir wollen da nicht mehr mitspielen. So eine Veränderung geht niemals von der Spitze aus, sondern immer von der Basis. Das fasziniert mich so an dieser Institution, dass sie immer noch diesem Keim der Macht in sich hat, um so was stattfinden zu lassen.
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